Kolumne Das Schlagloch: Its bad you know

Glück ist in Kambodscha und Thailand offenbar männlich oder jung.

"Ich hab Glück gehabt", grinst der balang, der Fremde, der sich an unserem Tisch in die Hocke gelassen hat. Man will es ihm nicht wirklich ansehen, weil er so unruhig mit seinem Schlüssel spielt und seine Kieferknochen so verspannt auf und ab flattern, aber vielleicht äußert sich Glück in Kambodscha anders. "Ich bin 50 Jahre alt und zweimal geschieden. Zu Hause hätte ich vielleicht noch auf ne 40-Jährige mit drei Kindern zurückgreifen können, aber hier in Kambodscha hab ich eine zwanzigjährige Frau und vor 14 Tagen eine kleine Tochter bekommen."

Das Glück ist also jung. Natürlich gehe es nicht um Liebe bei dem Mädchen, das jetzt seine Frau ist, sondern um Sicherheit, das sei ihm schon klar, "aber die Khmer-Mädchen sind noch nicht so verdorben wie die Thaiweiber. Die zocken einen nur ab und sind dann weg, aber die Khmer bleiben eine Weile."

Er weiß, wovon er spricht, er hat lange genug in Thailand gelebt. Seit zwei Jahren ist er jetzt in Sihanoukville, und hier ist alles einfacher. Hier kann jeder balang ein Business machen und Grundbesitz erwerben, hier muss er nicht, wie in Thailand oder Laos, mit einem Einheimischen teilen. Alles seins, zeigt er um sich: die Bar, die Bungalows, die Mädchen.

Die Karawane der weißen, hässlichen Männer hat sich schon vor längerer Zeit wieder in Gang gesetzt. Thaiweiber sind ja eben zu abgezockt und zu teuer geworden. Da muss billiges Frischfleisch her. Das findet man in den ärmeren Nachbarländern. Man nennt ihn "trafficking", den grenzübergreifenden Handel mit Menschen, hier vornehmlich mit Frauen. In Asien werden junge Frauen kreuz und quer über den Kontinent transportiert wie die Schweine in Europa. Am liebsten Angehörige von rechtlosen Minderheiten: Mädchen von laotischen Bergstämmen, die nicht lesen und schreiben können; Töchter von armen Familien in kambodschanischen Dörfern. Hübsche Kinder, für die sich keiner außer einem unersättlichen Sexmarkt interessiert.

Vor zwei Jahren ist der alte Mann, der jetzt die junge Frau sein Eigen nennt, hergekommen. Hat für 100.000 Dollar seine Bar und zwanzig Bungalows gebaut und Arbeitsplätze hat er schließlich auch geschaffen. Das ist nämlich der Unterschied zu Europa: "Ihr kriegt all die Fremden ohne Geld, das wird euch Probleme bereiten - tut es ja jetzt schon -, aber hier kommen die Fremden mit Geld und dieses Land profitiert nur davon." Ob das Land wirklich davon profitiert, dass vornehmlich Männer wie er hierherkommen, sei dahingestellt. Fest steht, dass sie tatsächlich kommen und täglich scheint ihre Rate, im Gegensatz zu denen der HIV-Erkrankten, zu steigen. Das behauptet der balang jedenfalls. Die Regierung habe erst neulich wieder Zahlen veröffentlicht. Und die Mutter seiner Frau arbeite auf der Aids-Station in Sihanoukville - früher seien dort 110 Fälle in der Woche gekommen, heute noch ganze 12 im Monat.

Ja, und die Prostitution, das habe er auch erst lernen müssen - und er schaut so, als sei diese Lektion ein hartes Stück Arbeit gewesen -, Prostitution sei in Asien etwas ganz anderes als bei uns. Hier werde sie als selbstverständlich anerkannt, weil die Prostituierte die ganze Familie ernähre. Im armen Landstrich Isaan in Thailand brächten die Mädchen heute jenen und morgen eben einen anderen Boyfriend mit und alle freuten sich, weil immer etwas fürs ganze Dorf abfällt. Offenbar hat sich auch über ihn wenigstens ein Dorf mal gefreut. Und er hat recht.

Mädchen in buddhistischen Ländern können ihr Karma nicht wie die Jungen durch eine spirituelle Zeit im Kloster aufbessern, sie müssen sich ordentlich für die Familie abrackern, damit für diese finanziell etwas abfällt und es für sie selbst im nächsten Leben besser wird. Vielleicht werden sie sogar als Mann wiedergeboren. Das wäre ein Glück. Ein anderes als das des balang, vielleicht sogar noch ein viel größeres.

Das Glück in Asien ist also jung oder männlich, scheint es. Wie verhält man sich da aber als ältere Frau, das personifizierte Unglück? Man geht zurück nach Thailand in ein Kloster. Rückzug in den Dschungel. Am besten mit Schweigen. Nur meditieren und schweigen. Rechts, da wo der Blick gegen die Bergwand prallt, sitzen die Frauen, und links haben die Männer das atemberaubend schöne Panorama von Dschungelbergen, auf denen sich zärtlich Palmen einander zuwiegen und dahinter atmet ewig das Meer mit tanzendem Wellenschaum. Die vormeditierenden Mönche sitzen je nach sittlicher Festigkeit entweder in der Mitte oder vor der Männerseite. Denn hier ist nicht der Ort für Kommunikation. Weder Worte noch Blicke.

Sechs Männer und vierzehn Frauen (von denen drei das Kloster nach einigen Tagen wieder verlassen, weil sie immerzu weinen mussten - "too much purification probably"), drei Mönche und eine Nonne. Letztere legt den Mönchen vor ihren Auftritten immer das Kissen auf die Holzbank. Ihr legt keiner ein Kissen hin, bevor sie abends den "Loving and kindness"-Part des Dhamma-Talk übernimmt, der in der spirituellen Aufforderung von "Think positive and be greatful to your parents and to your country" gipfelt.

Die Mönche lehren die harten Fakten von ducca, dem Leiden, das es zu überwinden gilt. In fünfzig Jahren Lebenszeit hab ich das Wort "Leiden" nicht so oft gehört wie in diesen Tagen, und ich dachte immer, dies sei eine typisch christliche Besessenheit. Essen nach 12 Uhr, reden, schreiben und lesen (bis auf buddhistische Lehrbücher) ist uns verboten. Nichts davon ist besonders unangenehm, bis auf das Lesen der Traktätchen und das Hören der Lehren. Meine Woche bei den buddhistischen Taliban, denke ich nach der Lektüre über die Sinnlosigkeit des Lachens und die Seuche des Tanzens und Musikhörens. Der Mönch, der uns das Beten beim Chanten lehren soll, redet besonders gern über Frauen aus dem Westen, ihre bauchfreie Mode und den lockeren Lebenswandel. Offenbar ist es in allen Religionen gleich: Männer reden gern darüber, wie sich Frauen verhalten sollten, um dem Herrn oder - ja, wem eigentlich im Buddhismus? - zu gefallen. Aber schließlich lamentieren Frauen in kleinen und größeren Zirkeln auch ständig darüber, was Männer falsch machen und wie sie besser sein sollten.

Dennoch fühlen wir uns alle am Ende der Rückzugszeit seltsam erfrischt. Schweigen ist wirklich heilsam und sieht auch sehr gut aus. Es steht einfach jedem. Einer der Männer ist schon zum dritten Mal in drei Monaten da. Das irritiert mich allerdings. Die westlichen Organisatoren - eine Art spiritueller Flugbegleiter - sitzen schon ungeduldig auf dem Pick-up-Truck. Sie sind abfahrbereit zum nächsten Retreat. Macht es vielleicht süchtig? Eine der Frauen will jetzt auf jeden Fall das Rauchen aufgeben. Als sie sich beim Sharing (der ersten persönlichen Mitteilung nach dem Schweigen) zu einem der Mönche umdreht, um ihm zu danken, hält der sich die Hand vors Gesicht, um nicht durch den Anblick ihrer Weiblichkeit in Versuchung zu geraten. Die Frau ist sechsundsechzig.

Schon ist die Erfrischung wieder hin. Alles ducca eben.

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