Viele Tote in Tibet: "Verschwörung des Dalai Lamas"

Exiltibeter sprechen von bis zu 100 Toten bei den Unruhen. China streut Gerüchte von einer "Verschwörung der Clique des Dalai Lamas" - und stellt ein Ultimatum, sich bis Montag zu ergeben.

Handyfoto eines Studenten eines Demonstrationszuges von tibetischen Mönchen trotz starkem Polizeischutz am Freitag im tibetischen Landkreis Sangchu. Bild: dpa

PEKING dpa Die schweren Ausschreitungen in Tibet haben möglicherweise Dutzende von Menschen das Leben gekostet. Die exiltibetische Regierung in Indien erhielt "unbestätigte Berichte" aus Tibet über bis zu 100 Tote. Einen Tag nach den antichinesischen Unruhen waren nach offiziellen chinesischen Angaben erst zehn Tote bestätigt. "Die Zahl der Verletzten und Toten steigt weiter", berichtete gleichwohl die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua. Viele Polizisten seien schwer verletzt worden. Die Austragung der Olympischen Spiele im Sommer in Peking sei von den Unruhen nicht betroffen, betonten die chinesischen Organisatoren.

Die Lage in Lhasa war am Samstag angespannt. Soldaten hatten Straßensperren errichtet. Panzer waren aufgefahren, wie Augenzeugen berichteten. Die exiltibetische Regierung teilte an ihrem Sitz im nordindischen Dharamshala mit, dass "Kriegsrecht" über Lhasa verhängt worden sei. Tibets Regierungschef Qiangba Puncog hatte das zuvor aber in Peking bestritten. Nach Informationen des exiltibetischen Zentrums für Demokratie und Menschenrechte in Indien (TCHRD) gab es allein am Jokhang-Tempel und Ramoche-Tempel und einem Markt im Zentrum von Lhasa rund 25 Tote. Hunderte seien verletzt worden. Die Unruhen hatten auch andere Orte sowie Klöster in den Provinzen Gansu und Qinghai erfasst. In Gansu sollen auch Schüsse gefallen sein.

Das exiltibetische Parlament forderte die Vereinten Nationen auf, einen Sondergesandten nach Tibet zu schicken. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte sich besorgt über die Unruhen. "Gewalt - egal von welcher Seite - führt zu keiner Lösung der offenen Fragen", sagte Merkel laut Regierungssprecher Ulrich Wilhelm. Zugleich rief Merkel zu einem Dialog zwischen Chinas Regierung und dem Dalai Lama auf. Nur so könne eine nachhaltige Lösung gefunden werden. Berlin unterstütze den Anspruch der Tibeter auf religiöse und kulturelle Autonomie.

Chinas Behörden warfen dagegen der "Clique um den Dalai Lama" vor, die Unruhen "vorsätzlich geplant" zu haben. "Wir haben genug Beweise, dass diese Aktion eine politische Verschwörung ist, die von der Clique des Dalai Lamas geplant worden ist", las eine Sprecherin im Fernsehen einen Text der Staatsagentur vor. Ein Xinhua-Kommentar forderte die Weltgemeinschaft auf, ihre Haltung gegenüber dem Dalai Lama zu überprüfen: "Der Dalai Lama und seine Clique haben keinen einzigen Tag von Gewalt und Terror abgesehen." Aus seinem indischen Exil hatte das religiöse Oberhaupt der Tibeter am Vortag allerdings sofort nach Ausbruch der Unruhen zur Gewaltlosigkeit aufgerufen.

Tibets Sicherheitsbehörden setzten den Teilnehmern an den Ausschreitungen eine Frist, um sich zu ergeben. Wer sich bis Montag um Mitternacht stelle, könne mit Strafminderung und "Nachsicht" rechnen. Die tibetische Regierung bestritt, dass Sicherheitskräfte das Feuer auf die Demonstranten eröffnet haben. Tibets Regierungschef sagte am Rande des Volkskongresses in Peking: "Wir haben keine Schüsse abgegeben." Die Staatsagentur Xinhua berichtete dagegen, die Polizei habe "Warnschüsse" abgegeben. Die Polizisten seien aber angewiesen worden, keine Gewalt gegen Angreifer anzuwenden.

Der US-Sender Radio Free Asia zitierte Tibeter, wonach bis zu 80 Menschen getötet worden seien. Bewohner von Lhasa, die telefonisch kontaktiert werden konnten, sprachen auch von deutlich mehr Opfern als den genannten zehn Toten. Das Staatsfernsehen zeigte Bilder von randalierenden Tibetern, die Autos umstürzten, Geschäfte angriffen oder versuchten, heruntergelassene Läden oder Gitter aufzubrechen. Die Sprecherin sagte, dass es durch "eine kleine Gruppe von Leuten" zu Zerstörungen, Schlägereien und Plünderungen gekommen sei.

Als Reaktion auf die Vorgänge stürmten Exiltibeter am Samstag in Sydney das chinesische Konsulat. Es kam zu Zusammenstößen mit der Polizei. Sieben Demonstranten wurden festgenommen. Auch in Berlin und anderen Städten kam es zu Protesten. In Nepal traten Exiltibeter in einen Hungerstreik. In Indien nahmen Tibeter in Dharamshala, dem Sitz der tibetischen Exilregierung, wieder einen Marsch nach Tibet auf. Die indische Polizei hatte einen ähnlichen Versuch vor zwei Tagen unterbunden und 102 Tibeter festgenommen. Ihr "Friedensmarsch" soll vor den Olympischen Spielen in Peking die Aufmerksamkeit der Welt auf das Schicksal der Tibeter lenken.

Nach der Machtübernahme der Kommunisten 1949 in Peking und dem Einmarsch der Volksbefreiungsarmee 1950 in Tibet hatte sich China das größte Hochland der Erde einverleibt. Die Olympia-Organisatoren betonten am Samstag, die Gruppen, die die Spiele als Plattform für ihre Unabhängigkeitsbemühungen benutzen, seien nur eine kleine Minderheit. China lehne jeden Versuch ab, die Spiele zu politisieren. "Das chinesische Volk, einschließlich die Landsleute in Tibet, freuen sich sehr auf die Austragung der Spiele."

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