Proteste in Belgrad: Polizei lässt Gewalt freien Lauf

Bei Protesten gegen das unabhängige Kosovo gehen gewalttätige Demonstranten gegen Botschaften und Geschäfte vor. Die Polizei greift zunächst nicht ein.

In der Nacht zum Freitag brannte die US-Botschaft in Belgrad. Bild: ap

BELGRAD taz Am Freitag ist es in der serbischen Hauptstadt sonnig, ruhig und friedlich. Für die meisten Menschen ist es ein normaler Arbeitstag. Doch die Spuren der Gewalt der vergangenen Nacht können die städtischen Dienste nicht so schnell beseitigen: Die US-Botschaft ist zum Teil ausgebrannt, ebenso ein Gebäude vor der kroatischen Botschaft, wo ein verkohltes Autowrack steht. Scherben bedecken den Bürgersteig vor der britischen, türkischen und bosnischen Botschaft. Entlang der zentralen Einkaufsstraße Kralja Milana und der Fußgängerzone Knez Mihajlova sind Schaufenster dutzender Geschäfte eingeschlagen, Läden sind ausgeplündert. Lokale der US-Kette McDonalds sind demoliert, Filialen der Raiffeisen und der UniCredit Bank wurden mit Steinen beworfen.

Als schwer bewaffnete Antiterroreinheiten die vorwiegend sehr jungen Hooligans aus dem Botschaftsviertel verdrängt hatten, richtete sich deren Gewalt gegen Läden mit Markenkleidern. Der Wutausbruch gegen westliche Botschaften verwandelte sich in der Nacht zu Freitag ins ungezügelte Plündern. Seelenruhig bedienten sich die Vandalen bei Puma, Nike und Benetton. Sie hatten genug Zeit sich Kleidung auszusuchen, passende Größen auszutauschen und die Säcke mit den neuesten Modellen von Sportschuhen zu füllen. Wie bei dem Sturm auf die westliche Botschaften kam die Polizei erst eine halbe Stunde später zum Tatort.

Serbische Politiker kritisierten scharf den Gewaltausbruch, Bilder der Zerstörung würden nur dem berechtigten Kampf der Serben für das Kosovo schaden, hieß es. Medien betonten am Tag danach vorwiegend, dass die eigentliche Massenkundgebung "Kosovo ist Serbien" friedlich und würdevoll verlaufen sei und mit einer Fürbitte von über 200.000 Menschen für die Kosovo-Serben vor der Kirche des heiligen Sava geendet hatte. Nur am Rande hätten Hooligans randaliert.

Eine Frage blieb allerdings offen: Warum haben Sondereinheiten der Polizei das Botschaftsviertel nicht bereits vor der Kundgebung beschützt? Zumal die US-Botschaft schon zu Wochenbeginn von wütenden Demonstranten gestürmt wurde. Wie kann es sein, dass einige hundert Jugendliche stundenlang die Belgrader Innenstadt demolieren können, bevor sie die Polizei mit gepanzerten Jeeps, Tränengas und Gummigeschossen vertreibt?

Seit das Kosovo am vergangenen Sonntag die Unabhängigkeit ausrief, ist es in Serbien täglich zu Krawallen gekommen. Über 80 Menschen wurden bereits verletzt worden. Alle wussten daher, das der große Kosovo-Protest ein Sicherheitsrisiko beinhaltet. Die Bilanz der Nacht zu Freitag: ein Toter, über 150 Verletzte und hoher Sachschaden.

Im Kontrast dazu war der von Nationalisten verhasste Fernsehsender B92 und das slowenische Einkaufszentrum Merkator zum Beispiel von starken, schwer bewaffneten Sondereinheiten der Polizei bestens beschützt worden. Die Hooligans konnten nicht einmal in ihre Nähe gelangen.

"Das serbische Volk hat mit der grandiosen Versammlung gezeigt, was es vom Kosovo und der brutalen Gewalt gegenüber Serbien halte", erklärte am Tag danach Premierminister Vojislav Kostunica. Mit Bedauern stellte er fest, dass auch eine großes Unglück geschehen und bei dem Gewaltausbruch ein Menschenleben verloren gegangen sei. Gewalt und Zerstörung fügten dem Kampf der Serben für die nationalen Interessen zu direkten Schaden, sagte Kostunica. Alle die für den "falschen" Staat Kosovo seien, würden sich über die Gewalt in Belgrad freuen.

Einige Bürgergruppen und prowestliche oppositionelle Parteien machten direkt Kostunica, Staatspräsident Boris Tadic und den Führer der nationalistischen Serbischen Radikalen Partei, Tomislav Nikolic, für die Ausschreitungen verantwortlich. Denn diese hätten trotz des Risikos gemeinsam zur Kundgebung aufgerufen. Tadic und seine "Demokratische Partei" distanzierten sich allerdings kurzfristig und stillschweigend von der Demo. Der Präsident war zu der Zeit in Rumänien, einem der wenigen EU-Staaten, die die Unabhängigkeit des Kosovo nicht anerkennen wollen.

Soziologen sprechen von einem kollektiven Ausbruch der Frustration eines Volks, dem mit dem Kosovo ein bedeutender Teil seiner nationalen Identität weggenommen worden sei. Allerdings hätte die Gewalt in Belgrad nichts mit dem Kosovo zu tun. Man kann davon ausgehen, dass die Gewaltwelle, die vergangenen Sonntag in Serbien begann, vorerst beendet ist. Ihre Ursachen sind jedoch geblieben.

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