Schwer fairständlich

Die Welt ein Stückchen besser zu machen ist gar nicht so schwer. Sogar Kommunen haben das gerechte Wirtschaften entdeckt: Deutschlandweit wächst das Interesse an nachhaltigem, sozialem Einkauf für Städte und Gemeinden. Im Stuttgarter Rathaus und bei der Landesregierung nicht. Da scheitert die bessere Welt an ein paar Stückchen Würfelzucker. Und einer Menge Ignoranz

von Anna Hunger

Ich hab's ja versucht, aber da sehen Sie, was draus wird.“ Werner Wölfle, Stuttgarts Bürgermeister für Verwaltung, sitzt in seinem Büro neben einer kleinen Glasschale mit Zuckerwürfeln. Weiß, kristallin, vermutlich von Südzucker.

Wenn man es glauben kann, hätte Wölfle den Zucker gern anders: fair gehandelt, aus dem Naturkostladen um die Ecke. Am liebsten hätte er ein Rathaus, das in Gänze sozial verantwortlich einkauft, Mitarbeiter, die keine Mail zu viel ausdrucken und da, wo sie nicht unbedingt Büttenpapier verwenden müssen, Umweltschutzpapier nehmen. Dafür setze er sich ein, sagt er, als Einziger im Rathaus, aber es käme halt nicht an bei seinen Kollegen.

Dabei will Stuttgart per Gemeinderatsbeschluss vom 27. Juli 2011 „Fairtrade Town“ werden, Teil einer Kampagne, die der Kölner Verein TransFair e.V. vor drei Jahren ins Leben gerufen hat. Seitdem können sich Städte und Gemeinden um die Auszeichnung Fairtrade Town bewerben, um „ein konkretes Zeichen für eine gerechtere Welt zu setzen“, indem sie Produkte kaufen, die Kleinbauern und Arbeitern in Lateinamerika, Asien und Afrika bessere Arbeitsbedingungen verschaffen, gleichfalls faire Löhne, sich für die Rechte von Kindern einsetzen und, alles in allem, die Regeln des Welthandels gerechter machen wollen. Eine gute Sache also. Mehr als 135 Gemeinden in Deutschland sind bereits ausgezeichnet.

In Ostfildern klappt's mit dem fairen Einkaufen, in Stuttgart

Bis Ende 2013 wollen die Stuttgarter das auch schaffen. Aber weil es einfacher ist, drum herum zu delegieren, als selbst anzufangen, haben die Räte beschlossen, das „Fairsein“ vor allem ihren Stadtteilen zu überlassen. Stuttgart-Degerloch zum Beispiel hat den Anfang gemacht, gemeinsam mit Berlin-Charlottenburg, der erste faire Stadtteil in Deutschland, oder Vaihingen, Wangen, Botnang, Bad Cannstatt, Möhringen, Stuttgart-West, seit kurzem Zuffenhausen. Stuttgart-Mitte fehlt samt Rathaus und der Zuckerdose von Werner Wölfle. Dabei können gerade die Verwaltungen Verteiler der Idee der sozial verantwortlichen Beschaffung sein.

Um faire Stadt werden zu können, müssen fünf Bedingungen erfüllt sein: In Gemeinderatssitzungen werden faire Produkte verzehrt. Eine Steuerungsgruppe soll Aktivitäten vor Ort koordinieren, in Cafés und Einzelhandelsgeschäften soll es faire Produkte geben, in Schulen, Vereinen und Kirchen ebenfalls, außerdem Veranstaltungen zum Thema. Und – die örtlichen Medien sollen darüber berichten. Zudem müssen je nach Bevölkerungsdichte eine bestimmte Anzahl von Einzelhändlern und Lokalen faire Produkte führen.

In Ostfildern, einige Kilometer südöstlich von Stuttgart, klappt das. Da gibt es Elisabeth Mosbacher aus Ruit. Sie ist Teil eines eigens eingesetzten mehrköpfigen Gremiums aus Stadtangestellten und Kirchengemeinde-Funktionären. Schon seit Jahren bieten sie in ihrer Gemeinde fair gehandelte Produkte an, und als der Gemeinderat 2010, wie viele Gemeinden, den Beschluss fasste, die Konvention 182 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die sich gegen Kinderarbeit richtet, zu ratifizieren, trommelte sie die ihr bekannten Fair-Trade-Aktivisten zusammen und bot der Stadt ihre Unterstützung an.

Ein Jahr später stellte die Stadtverwaltung den Antrag, Fairtrade Town zu werden, seitdem tingelt Frau Mosbacher mit ihrer Truppe und der Unterstützung der Stadt durch Lebensmittelgeschäfte, Blumenläden, Schulen und Restaurants, um für faire Produkte zu werben und um zu zeigen, dass hinter den Produkten ja Menschen stehen, die fühlen und leben und Respekt verdient haben. „Wir haben noch einen weiten Weg vor uns“, sagt sie, „aber Stück für Stück geht es voran.“ Das Wichtigste sei die Vernetzung. Denn viele sind stärker als ein Einzelner.

Der faire Zucker sei ja in Plastik verpackt, sagt Wölfle im Rathaus, das sei ein Umweltschutzproblem. Seine Würfel gebe es immerhin in Pappe.

Aber es geht nicht nur um Zucker. Der kommunale Einkauf, also die Beschaffung durch die öffentliche Hand, umfasst Kaffee, Tee, Häppchen für offizielle Anlässe, Bleistifte, Papier, Arbeitskleidung, Pflanzen für Grünanlagen und Friedhöfe, Steine, Holz, Möbel, Gerätschaften und Werkzeug aller Art, Fuhrparks, Computer, Strom und so weiter.

Der Gemeinderat von Stuttgart hat ebenfalls die ILO-Konvention 182 für die Stadt, ihre Tochter- und Beteiligungsunternehmen zu ratifiziert. Das bedeutet, keine Fußbälle aus ausbeuterischen pakistanischen Betrieben an den Schulen, keine Pflastersteine aus chinesischen oder indischen Steinbrüchen oder nur solche, die per Zertifizierung Kinderarbeit ausgeschlossen haben.

Die EU-Richtlinie dazu, die es ermöglicht, bei der Vergabe öffentlicher Aufträge soziale Aspekte zuzulassen, gibt es seit 2004, das Vergaberecht in Deutschland beinhaltet diese Option seit 2009, gleichfalls das Landesvergabegesetz Baden-Württemberg. Und die Vergaberegelung des Stuttgarter Rathauses – seit 2005.

Theoretisch eine gute Idee. Immerhin gibt es in Stuttgart die Empfehlung, bei Ausschreibungen Produkte, die ohne Kinderarbeit hergestellt werden, zu berücksichtigen. De facto kommt der Passus in den Ausschreibungen aber nicht vor, er ist kein „muss“, er ist ein „kann“, und können tut offenbar kaum einer. Immerhin, das Friedhofsamt hat nun eine Klausel in der Satzung, nach der Steine gekauft werden sollen, die nicht aus Kinderarbeit stammen. Ansonsten klingt die Regelung eben gut, mehr nicht.

Wölfle sitzt neben seiner Zuckerschale und findet, neben der Plastikverpackung sei der faire Zucker ja nicht in Deutschland produziert und in einem deutschen Rathaus sollten auch deutsche Produkte stehen. Da sei Fair Trade, zumindest im Falle von Zucker aus Brasilien, eben nix.

Der Sinn hinter der Fairtrade-Town-Kampagne ist vor allem, eine Steuerungsgruppe einzusetzen: Wenn es schon Zuständige gibt, die Feuer gefangen haben für die faire Idee, wird der Gedanke eventuell auch über diese Auszeichnung hinaus weitergetragen. Es geht darum, einen Grundstein zu legen. Aber wo kein Grundstein, da auch kein Fundament.

Keiner weiß im Rathaus, wer was bei wem einkauft

Stabsstellen seien überschätzt, sagt Wölfle. Dafür sei er gerade dabei, eine dreißigköpfige Beschaffertruppe einzurichten, die sich dann zentraler um den Einkauf im Rathaus kümmere, allerdings nicht, um die Gemeinderatsbeschlüsse von 2005 und 2011 anständig auf den Weg zu bringen, sondern um Korruption entgegenzuwirken. Damit kennt sich der heutige Verwaltungsbürgermeister aus, wollte er doch mal eine Bio-Limo für die Gemeinderatssitzungen durchsetzen, die aber von seinem Kumpel stammte. Da sehe man mal, wie schwer das sei, den fairen Bio-Gedanken im Stuttgarter Rathaus durchzusetzen. Im Übrigen: In vielen Büros und Ämter herrsche immer noch die Meinung, dass Fair-Trade-Kaffee Espressomaschinen zerstöre. Zugegeben. Beim fairen Handel sei das Rathaus noch weit hintendran, sagt Wölfle.

In Wahrheit ist „hintendran“ eine freundliche Umschreibung für „lang beschlossen, aber nicht einmal angefangen“. In Sachen Einkauf herrscht im Stuttgarter Rathaus Chaos – keiner weiß, wer da was bei wem einkauft. Der eine meint, jedes Büro kaufe nach seinem Gusto, Wölfle will bis zu 20 „Beschaffer“ im Rathaus ansässig wissen, die einkaufen, die zentrale Verwaltungsstelle, hört man, kaufe nur Glühbirnen und offenbar, so Wölfle, sei man seit 2011 Teil einer kommunalen Einkaufsgemeinschaft, der Einkaufsgenossenschaft Kommunaler Verwaltungen (EKV eG) in Köln. „Ökologische Ziele“, sagt Wölfle, „waren bislang kein vorrangiges Thema bei den EKV-Ausschreibungen.“

Also nix fair, nix öko, nix regional, rudimentär allenfalls. „Das mit dem fairen Handel“, sagt Wölfle, „ist halt nicht so einfach.“ Und Papier sei geduldig. Apropos Papier: Andauernd müsse er rumstreiten, dass wenigstens Umweltschutzpapier benutzt wird. Und was passiere? Nichts.

„Wer soll das denn überhaupt alles kontrollieren mit der Kinderarbeit und dem fair?“, wo man eigentlich wegen jedem Stein selbst nach China reisen müsste. Siegel und Zertifizierungen: oft undurchschaubar; Initiativen: oft festgefahren im Weltverbesserer-Habitus; Regelungen für das Rathaus zu finden: schier unmöglich.

Stimmt schon. Aber mit ein wenig gutem Willen und ein paar Ideen ist es so schwer auch wieder nicht.

Ein paar Zahlen: Mit 100.000 ehrenamtlich Aktiven ist der faire Handel die größte entwicklungspolitische Bewegung Deutschlands. 477 Millionen Euro wurden 2011 für faire Produkte ausgegeben, Tendenz steigend. In Deutschland gibt es inzwischen mehr als 12.000 fair gehandelte Produkte von Firmen wie GEPA, El Puente, dwp, Bana Fair oder Globo, in schätzungsweise 36.000 Lebensmittelgeschäften – Früchte, Honig, Nüsse, Gewürze, Wein, Kleidung. Darboven, der Kaffeemagnat, hat fairen Kaffee in sein Sortiment aufgenommen, die Kette Mövenpick im vergangenen Jahr ebenfalls. In München klappt es, in Saarbrücken oder Bremen, und Sachsen hat eine Bürgerinitiative, die erreichen möchte, dass Sachsen ein faires Land wird.

Baden-Württemberg ist immerhin ein grünes Land, das 2008, zu schwarzen Zeiten, beschlossen hat, gleichfalls die ILO-Konvention 182 gegen Kinderarbeit zu ratifizieren. Die Grünen haben den fairen Gedanken, der zumindest in der Theorie weit mehr beinhaltet als ein Verbot der Kinderarbeit, sogar darüber hinaus im Koalitionsvertrag verewigt.

„Der faire Handel ist für uns ein wichtiger Baustein bei der Umsetzung globaler Gerechtigkeit. Wir werden das Beschaffungswesen des Landes auf die Beachtung sozialer und ökologischer Standards bei der Vergabe öffentlicher Aufträge verpflichten. Die Beschaffung von Waren durch das Land wird die Prinzipien des fairen Handels beachten.“ Steht auf Seite 76, mittig. Und es klingt gut. Sehr gut sogar. Bund, Länder und Kommunen in Deutschland beschaffen jährlich Waren und Dienstleistungen im Wert von 360 Milliarden Euro. Würden da alle fair mitmachen, hätte das Schlagkraft im Kampf für eine bessere Welt.

Die grün-rote Landesregierung veranstaltete im Sommer 2012 einen Dialog-Workshop, um mit Bürgern und Verbänden Vorschläge für neue entwicklungspolitische Leitlinien zu entwickeln. In der daraus entstandenen Broschüre steht: „Das Land hat bei der verantwortlichen Beschaffung eine Vorbildfunktion. Die Landesregierung berücksichtigt deshalb bei ihrer Beschaffung neben ökologischer auch regionale, ökologische und soziale Kriterien und bevorzugt, wo möglich, Produkte aus fairem Handel.“

Aber was für Stuttgart gilt, gilt auch für Baden-Württemberg: In der Praxis kauft jedes Ministerium für sich selbst ein. Man kann davon ausgehen, dass sogar jedes Amt, jedes Büro für sich selbst einkauft. Das Ministerium für Umweltschutz hat dazu immerhin ein Heft rausgegeben, das empfiehlt, was wie gekauft wird. Das sei wohlwollend aufgenommen worden, sagt die Pressestelle. Aber man solle doch mal im Innenministerium (SPD) fragen, die wüssten bestimmt mehr.

Dort ist das Heft offenbar in einer Schublade versumpft. Beschlüsse der alten Regierung, sagt der Sprecher, wie die gegen Kinderarbeit, seien für die neue Regierung sowieso nicht bindend, und bei ihnen kaufe jeder, was er will, „wenn der Minister was haben will, geht einer los und kauft den Kaffee, auf den Herr Gall Lust hat.“ Zwecks der Koalitionsvereinbarung solle man doch mal im Staatsministerium anrufen, da säßen doch die Grünen, die immer alles gemeinsam machen wollen.

Das Staatsministerium leitet die Anfrage weiter zum Ministerium für Wirtschaft. Das wiederum entschuldigt sich, es habe beschaffungsmäßig nur mit Toto-Lotto und dem Flughafen-Duty-Free-Shop zu tun, und da sei es mit fairem Handel nicht weit her. Also noch ein Anruf beim Staatsministerium. Gibt es einen Zuständigen, der vielleicht die Schirmherrschaft über die koalitionsvereinbarte Fairness übernommen hat? Nö. Dabei sitzt im Staatsministerium mit Klaus-Peter Murawski ein Spezialist. Der Chef der Staatskanzlei ist Vorgänger von Werner Wölfle im Stuttgarter Rathaus. Die Vergaberegelung von 2005 wurde in seiner Zeit beschlossen. Werner Wölfle war damals noch Chef der grünen Stadtratsfraktion.

Zwischendurch verweist das Wirtschaftsministerium auf das Logistikzentrum Baden-Württemberg. Dort werden Büromaterialien und Zubehör nebst Kleidung für Justiz und Polizei beschafft. Zumindest für die Bekleidung spart man sich dort den Zusatz „fair“ in den Ausschreibungen. Es gebe zu wenige Anbieter für faire Baumwolle, zudem seien Polizeihemden und Uniformen aus einem Mischgewebe, das sowieso nicht fair angeboten würde.

In Zürich dagegen scheint das zu klappen, da tragen seit Januar 2009 mehr als 1.500 Mitglieder von Polizei, Feuerwehr und Ordnungsamt Hemden aus fair gehandelter Bio-Baumwolle. Das muss man nicht tun, so eine Initiative starten, aber man kann. Dazu braucht es aber Menschen, die begeistert sind. Wie Frau Mosbacher. Solche, die nicht an einem Schälchen Würfelzucker scheitern.

Gerade beim Zucker, sagt Werner Wölfle, seien ja die Emissionen ein Problem. So ein Flugzeug stößt eine Menge CO2 aus auf dem Weg von Südamerika hierher. Da müsse man schauen, ob man das verantworten kann und worauf man seine Priorität lege – zumal als Grüner. Alles nicht so einfach.