Schlagzeilen in der Türkei: Am Pranger

Innenminister Wolfgang Schäuble will kein Brandstifter sein. Auch kein Ruhestifter, erst recht nicht in der Türkei.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) im Atatürk-Mausoleum in Ankara. Bild: ap

BERLIN taz Der "Pranger" ist laut Meyers Lexikon ein Schandpfahl, an dem Verbrecher öffentlich zur Schau gestellt werden. Im Mittelalter konnte das Volk den Missetäter mit faulen Lebensmitteln bewerfen. Heute ist der Pranger medial - unerfreuliche Ereignisse werden dazu genutzt, um mit Worten zu schmeißen. Anders als im Mittelalter kann man sich aber heute wehren, so wie es jetzt der Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) getan hat.

Schäuble war für drei Tage auf einer Türkeireise unterwegs, als er sich zu der Aussage verleiten ließ, man sei kein "Volk, das Brandsätze auf Türken wirft".

Warum er dies so herbe dahersagte? Seit dem Brand in Ludwigshafen am Sonntag, bei dem neun Türken starben, wird in den türkischen Medien heftigst debattiert. Es wütet ein Flächenbrand der Verdächtigungen, von Fernsehsendern bis zu den Zeitungen. "Schlimmer als der Krieg", titelte die Hürriyet am Dienstag. "Sie haben uns wieder verbrannt", titelte am Mittwoch die nationalislamische Tageszeitung Türkiye und fügte hinzu: "Ein neues Solingen".

Schlagzeilen, die kaum Raum zur Auslegung lassen. Aber viel zur Kritik und Kaffeesatzleserei. Denn bisher ist noch nicht geklärt, ob ein fremdenfeindlicher Anschlag oder ein Unfall für die Katastrophe verantwortlich sind.

Schäuble, ein geübter Rechthaber, wollte diese Mutmaßungen nicht auf seiner Bundesregierung sitzen lassen. Er verteidigte sich und seine Heimat mit der Aussage, man sei kein Volk von Brandsatzwerfern, und kritisierte den türkischen Botschafter in Deutschland, Mehmet Ali Irtemcelik, mit scharfen Worten: "Manchmal muss man auch Botschaftern Manieren beibringen." Er liebt halt die Provokation und bevorzugt diese manchmal gegenüber der Konversation. Der Innenminister ärgert sich womöglich über die voreiligen Schlüsse in den türkischen Medien und zieht eine klare Grenze: Immerhin wollen die Türken meistens etwas von den Deutschen, sie sind die Bittsteller. Und hat er nicht schon die Islamkonferenz initiiert? Da muss man sich ja nicht alles gefallen lassen! Da kann man ruhig jegliche Höflichkeit vergessen.

Nach Schäubles Angriff auf den Botschafter klagte die türkische Zeitung Sabah: "Sie haben unseren Schmerz nicht begriffen." Die regierungsnahe Yeni Safak formuliert ihre Vermutung etwas drastischer: "Erst haben sie das Haus mit dem Wort ,Hass' beschmiert, dann haben sie es in Brand gesteckt", titelte die Zeitung und druckte daneben ein Hakenkreuz. Oktay Ekis, Kolumnist der Hürriyet, warf der Bundesregierung gar ein "schändliches Verhalten vor". In seinem am Donnerstag erschienenen Leitartikel empört er sich über Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), von der man bisher kein einziges Wort des Beileids gehört habe. "Wenn etwas Vergleichbares in der Türkei passiert wäre, hätten alle erneut die EU-Mitgliedschaft der Türkei in Frage gestellt", schreibt Eksi, was übersetzt "sauer" heißt.

Diese Kritik zeigt, warum viele türkische Medien so hitzig reagieren. Man erinnert sich an den fremdenfeindlichen Anschlag in Solingen, bei dem 1993 fünf Türken starben. Aber vor allem fühlt man sich von der Bundesregierung stiefmütterlich behandelt, immerhin wird der Türkei nur eine privilegierte Partnerschaft in der EU angeboten, aber keine Vollmitgliedschaft. Ganz zu schweigen von der Verschärfung des Zuwanderungsgesetzes - ein Gesetz, das Ministerpräsident Tayyip Erdogan und nahezu die gesamte türkische Presse als "rassistisch" bezeichneten. Unionspolitiker werden mit Argwohn beobachtet, sobald sie die Türkei betreten, sind sie der direkten Kritik ausgesetzt.

Es ist eine Endlosliste von Missstimmungen und gefühlten Demütigungen. Und sobald es einen Anlass gibt, sei er noch so bitter, wird der mediale Pranger aufgestellt. Dann werden die Worte ausgepackt und ordentlich verteilt.

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