Clintons Mini-Vorsprung: Keine Zeit zum Jubeln

Mit einer von Obama abgekupferten Rhetorik kann Hillary Clinton wichtige Bundesstaaten für sich entscheiden. Aber am Ziel ist auch sie noch lange nicht.

Daumen nach oben - und weiter kämpfen: Hillary Clinton Bild: dpa

"Holy shit!", soll ihr Mitarbeiter Doug Hattaway um 21:46 Uhr Ostküstenzeit in der Wahlnacht plötzlich ausgerufen haben. Gerade hatte CNN die Nachricht gesendet, dass seine Chefin Hillary Clinton in Massachusetts gewonnen hatte. 59 Prozent der demokratischen Stimmen holte sie, während ihr Konkurrent Barack Obama nur auf 38 Prozent kam. "Guck dir das an!", schrie Hattaway fassungslos vor Freude im siebten Stock eines Ballsaales in Midtown Manhattan. Er war es gewesen, der in den letzten Stunden vor der Wahl dafür gesorgt hatte, dass die Erwartungen der Fans nicht zu sehr in die Höhe schossen.

Und nun das: In dieser an Überraschungen reichen Wahlnacht siegte Hillary Clinton in den drei bevölkerungsreichen Bundesstaaten Kalifornien, New York und New Jersey. Hinzu kamen fünf weitere Erfolge, darunter in Arkansas, wo sie und ihr Mann Bill Clinton lange gelebt und ihre politische Karriere begonnen hatten.

Besonders befriedigt haben dürfte sie der Sieg in Massachusetts. Denn den kleinen Neuenglandstaat mit seiner liberalen Bevölkerung hatte sie schon abgeschrieben. Zudem erhielt sie von dort eine der größten Demütigungen der vergangenen Wochen: Ted Kennedy, ein bekannter Senator aus Massachusetts, hatte die Marke "Kennedy" Obama zugesprochen und diesem in einem großen Medienspektakel seine Freundschaftsdienste angetragen. Auch John Kerry, der bei den letzten Präsidentschaftswahlen gegen George W. Bush kandidiert hatte und der Senator von Massachusetts ist, gab in der vorigen Woche seine Unterstützung für Obama bekannt. Die beiden Herren demonstrierten, dass Teile des weißen demokratischen Establishments Obama durchaus für die bessere Wahl erachten - ein Schock für die Clintons, die zuvor diese Klientel sicher an ihrer Seite geglaubt hatten. Und nun diese Wiedergutmachung!

Doch Zeit zur Freude wird Clinton kaum haben. Ihr Vorsprung vor Obama ist gering. Um nicht zu sagen: Der Super Tuesday endete mit einem Unentschieden. Schließlich ist ihr Obama selbst in den meisten Staaten, die sie für sich verbuchen konnte, dicht auf den Fersen. Wie Meinungsforscher erwartet hatten, geht das Kopf- an-Kopf-Rennen der beiden also weiter. Bis zu den benötigten 2.025 Delegiertenstimmen ist es für beide noch ein weiter Weg.

Möglich, dass Clinton gehofft hatte, den Super Tuesday deutlicher für sich zu entscheiden. Doch keine Enttäuschung war ihr der Wahlnacht anzusehen. Bei ihrer Dankesrede strahlte sie entspannt. "Zusammen werden wir Amerika zurückerobern!", rief sie in die begeisterte Menge im Manhattaner Ballsaal.

Nicht zufällig erinnert diese Rhetorik an Obama. Seit ihrer Niederlage in Iowa, wo im Januar die erste Vorwahl stattfand, spricht Hillary Clinton stets von "wir". Davor hieß es immer "ich".

Mehr als die Hälfte der befragten Wählerinnen und Wähler gab an, für denjenigen Bewerber gestimmt zu haben, dem sie am ehesten einen Wechsel zutrauten. Ein Viertel sagte, dass für sie die politische Erfahrung der Kandidaten ausschlaggebend gewesen sei. Bei diesen Wählern lag Hillary Clinton eindeutig vorne. Doch die ersten Wahlanalysen zeigen auch, wie schwer sie es haben könnte, als erste Frau für das Weiße Haus zu kandidieren.

Die Wähler sind zutiefst gespalten; ein demografisches Muster, dass sich in den noch ausstehenden Primaries fortsetzen wird. Die Sympathien der African Americans, die ihr Ehemann Bill Clinton noch genoss, hat Hillary nicht mehr. Dafür stimmten zwei von drei Latinos für sie. Nach ersten Wahlanalysen verhalfen ihr die neuen Immigranten zu ihrem deutlichen Wahlsieg in Kalifornien, jenem Bundesstaat, der allein 370 von 4.025 Delegierten des Nominierungsparteitages stellen wird.

Sie gewann die Unterstützung der überwältigenden Mehrheit der Arbeiter und kleinen Angestellten, die weniger als 50.000 Dollar im Jahr verdienen. Obama hingegen gewann die Stimmen der unter 30-Jährigen - und der Wohlhabenderen, die über ein Einkommen von 50.000 Dollar und mehr verfügen. Sie wird zuverlässig von älteren Frauen gewählt, die mit Clinton ihre jahrzehntelang erhoffte Lebenschance auf Einflussnahme einfordern. Dass Obama auch diesen Wählerinnen nicht ganz unsympathisch ist, zeigte sein Wahlsieg in Missouri. Dort lag er zwar nur ein Prozent vor Clinton, das aber mit Hilfe der älteren Wählerinnen.

Allerdings bezweifeln selbst einige von Clintons Anhängern, ob sie dazu geeignet ist, das zerrissene Land in eine neue, bessere Ära zu führen. "Ich sehe großes Potenzial in Hillary, aber ich sehe auch etwas in Obama, das uns alle weiterbringen könnte. In eine Zukunft, in der wir die Frage von Rasse und Hautfarbe hinter uns gelassen haben und in der wir uns gereinigt haben von dem, was war," sagte Sharon Caplan, die Vorsitzende des Nationalen Demokratischen Frauenclubs in der Hauptstadt Washington. In der Wahlnacht hatte sie sich mit anderen einflussreichen demokratischen Politikerinnen getroffen. Es sollte eine Party werden. Stattdessen wurde es ein Abend mit Taschenrechnern und Delegiertenlisten. Und das Rechnen ist noch lange nicht zu Ende.

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