Erdogans Kriminalexperten sollen aufklären: Türken trauern um Brand-Opfer

In der Türkei sind die Menschen betroffen. Manche Medien beschwören ein zweites Solingen. Hinter der Entsendung türkischer Ermittler steckt Kalkül des Regierungschefs Erdogan.

Eine Frau trauert an der Absperrung zu dem abgebrannten Haus in Ludwigshafen, in dem neun menschen einem Brand zum Opfer fielen. Bild: rtr

ISTANBUL taz Die Gräber sind schon ausgehoben. Das Friedhofspersonal wartet auf die sterblichen Überreste, die in Fahnen eingeschlagenen Särgen im kalten Laderaum einer Turkish-Airlines-Maschine morgen überführt werden. Weit hinten in der Türkei, im südostanatolischen Gaziantep gibt es neun Löcher, in die nachts vereiste Erde gegraben.

Der Brand in Ludwigshafen beschäftigt seit Tagen die türkischen Medien. "Sie haben uns wieder verbrannt", titelte am Mittwoch die national-islamische Tageszeitung Türkiye und fügte hinzu: "Ein neues Solingen". Die Redakteure vermuten, dass der Brand in Ludwigshafen ein Anschlag gewesen ist. Bei der Katastrophe am Sonntag kamen neun Menschen ums Leben, seitdem ist es das Topthema in den türkischen Medien.

"Unsere Herzen sind zerbrochen", war in der liberalen Milliyet zu lesen, die auch an den Brandanschlag in Solingen erinnerte. Bei dem Brandanschlag 1993 starben fünf Türken."Schlimmer als der Krieg" titelte die Tageszeitung Hürriyet am Dienstag und bebilderte den tragischen Moment, als ein Kind aus dem Fenster geworfen wurde, das die Feuerwehrmänner auffiengen. Auch am Mittwoch widmete sich das Massenblatt ausführlich dem Thema. "Beim zweiten Mal haben sie es verbrannt", heißt es auf dem Titel der Hürriyet, die damit darauf aufmerksam macht, dass bereits 2006 ein Brandanschlag auf das Haus verübt worden sei. Fast alle Medien gehen davon aus, dass ein fremdenfeindliches Motiv hinter dem Brand steckt. Die Zeitung Yeni Safak meldete, eine "Nazi-Kommission" der Polizei gehe dem Verdacht der Brandstiftung nach.

Etwas sachlicher wird der Vorfall im türkischen Fernsehen besprochen. In einem Beitrag des Senders Fox Türk ruft der Journalist Mehmet Koca dazu auf, Ruhe zu bewahren

Die türkischen Medien nehmen den tragischen Brand in Deutschland ernst: Sie berichten seit drei Tagen detailliert über das, was die meisten Ansagerinnen hier als "Lugwigschafen" aussprechen - viele in einem marktschreierischen Tonfall, viele aber auch in einem besonnenen. Das Schlagwort von "Solingen" ist in aller Munde.

Aber es gibt Unterschiede zwischen beiden Vorfällen. Die Zeitungen, die am ersten Tag das Wort "Solingen" ohne Fragezeichen abdruckten, äußern am zweiten und dritten Tag Zweifel. Die Aussagen der beiden Mädchen Aylin und Bedriye prägen die Berichte. Die deutschen Medien werden der Verharmlosung bezichtigt. Die liberale Milliyet, die keine Boulevardzeitung ist, schreibt: "In der wichtigen deutschen Tageszeitung FAZ fand der Brand nur einspaltig auf der Seite sieben Platz."

Die türkischen Tageszeitungen, von der linksliberalen Radikal bis hin zum regierungsnahen Boulevardblatt Sabah, haben am Mittwoch den Aufmacher und eine ganze Seite im Blatt dem Brand reserviert. Ausführlich wird die Lebensgeschichte der Opfer aufgerollt. Am tragischsten das Schicksal der dreifachen Mutter Hülya. Sie war mit dem gehbehinderten Kamil verheiratet, rettete ihren Mann und eine Tochter aus dem Haus und ließ ihr Leben, als sie noch ein Kind herausholen wollte. Sie war im fünften Monat schwanger.

Ministerpräsident Tayyip Erdogan legt großen Wert auf die Aufklärung der Brandursache. Erstmals in der Geschichte der Republik erlebt man die Entsendung von "türkischen Kriminalexperten" nach Europa. Es gibt auch erstmalig einen Staatsminister im Kabinett, der für die "Belange der Türken im Ausland" zuständig ist. Er begleitet die vier Experten.

Dahinter steckt Kalkül: Die regierenden "moderaten Islamisten" wissen Deutschland als Stimmendepot zu schätzen. Erdogan ließ ein Gesetz vorbereiten, das den Türken im Ausland die Teilnahme an den Wahlen in der Heimat ermöglicht. "Steckt da die zunehmende Ausländerfeindlichkeit dahinter? Ich hoffe, nicht", sagt der Ministerpräsident vor laufenden Kameras. Seine Entschlossenheit kommt gut an: "Endlich auf gleicher Augenhöhe", sagt ein Mann auf der Straße. "Wegen diesem Marco war ganz Deutschland empört aufgesprungen." Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) ist in der Türkei, als es in Ludwigshafen brennt. Der Innenminister ärgert sich über die "voreiligen Schlüsse" in den türkischen Medien. Gestern noch zierten Hakenkreuze die ersten Seiten der Boulevardzeitungen Sabah und Star - beide sind regierungsnah. Er moniert, dass Ankara für die Türken in Deutschland immer noch eine "Garantenstellung" habe.

Was schierer Unsinn ist. Denn die Türken in Deutschland leben im Niemandsland, in einem Zwischenraum zwischen zwei mittlerweile immer konservativer, immer unangenehmer werdenden Nationalstaaten. Keiner kümmert sich wirklich um ihr Schicksal, morgen sind sie in der Heimat vergessen. Die türkische Presse in Deutschland fühlt sich als einziges Sprachrohr: Die Hürriyet verfolgt die Geschichte bis ins Detail und rühmt sich zu recht damit, die kleinen Mädchen als Erstes interviewt zu haben. DILEK ZAPTCIOGLU

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