Amerikas Wirtschaft vor der Rezession: Leben auf Pump statt Sparen

Zum zweiten Mal innerhalb von acht Tagen hat die Notenbank der USA den Zinssatz gesenkt, um einen weiteren Absturz der Börsenkurse verhindern. Damit liegt er nun unter der Inflationsrate.

Die Börse an der New Yorker Wall Street. Bild: dpa

Bei der US-Notenbank scheint Alarmstufe Rot zu herrschen. Zum zweiten Mal innerhalb von acht Tagen senkte die Federal Reserve (Fed) ihre Leitzinsen, diesmal um einen halben Prozentpunkt auf nun 3 Prozent. Real, also unter Abzug der Preissteigerung von zuletzt 4 Prozent, ist der Zinssatz damit negativ. Das heißt: Leben auf Pump bringt mehr als Sparen.

Es ist eine riskante Strategie, die Fed-Präsident Ben Bernanke da fährt. Um jeden Preis will er eine Rezession verhindern, indem er Kredite verbilligt. Konsumenten und Unternehmer sollen sich weiter verschulden und weiter konsumieren, so die Hoffnung der Fed, und auf diese Weise einen Absturz der Wirtschaft verhindern.

Ein Nebeneffekt der Zinssenkung: Der US-Dollar wird dadurch weniger nachgefragt und dürfte deshalb weiter an Wert verlieren. Exporte aus den USA werden dadurch wettbewerbsfähiger und leisten einen zusätzlichen Beitrag zum Wirtschaftswachstum.

Dass die Überschuldung der Haushalte durch die immer günstigeren Kredite weiter zunehmen könnte und dass überdies das billige Geld die Inflation weiter antreibt - in dieser Situation ist das Bernanke egal. Denn die Lage ist offenbar tatsächlich ernst. Dem ersten Zinsschritt der Fed am Dienstag vergangener Woche war ein dramatischer Absturz der Aktienkurse in aller Welt vorausgegangen.

Aber längst schlägt sich die Finanzkrise auch in der realen Wirtschaft nieder. Vorgestern hatte die US-Regierung mitgeteilt, dass das Wirtschaftswachstum in den letzten drei Monaten des vergangenen Jahres nur noch 0,6 Prozent betrug nach immerhin noch 4,9 Prozent im dritten Quartal. US-Finanzminister Henry Paulson versuchte am Mittwoch einmal mehr, die Sorgen vor einer Rezession - zwei Quartale in Folge mit negativen Wachstumsraten - zu zerstreuen: "Ich bin zuversichtlich, dass unsere Wirtschaft weiter wächst, wenngleich nicht so schnell wie in den Vorjahren." Ein von der Regierung versprochenes Paket von Steuererleichterungen, das die Konjunktur weiter ankurbeln soll, befindet sich gerade auf dem mühsamen Weg durch den Kongress.

Nicht alle Volkswirte teilen Paulsons Zuversicht. Werden die Banken die niedrigeren Zinsen überhaupt an die Verbraucher weitergeben? Werden die Amerikaner die geplanten Steuergeschenke für mehr Konsum nutzen oder doch nur zum Schuldenabbau? In den vergangenen Monaten gaben sie jedenfalls deutlich weniger Geld aus. Die Bauwirtschaft verzeichnete sogar einen Rückgang um mehr als 50 Prozent.

"Wir stehen zumindest am Rande einer Rezession", schätzt der Chefvolkswirt des US-Wirtschaftsforschungsinstituts Global Insight, Nariman Behravesh. "Die Verbraucher haben ihre Reserven erschöpft, und im Wohnungsbau wird es mindestens bis Mitte des Jahres weiter abwärts gehen." Auch die Automobilhersteller haben ihre Produktion schon stark zurückgefahren. Wie im Immobiliensektor hing auch in der Autobranche das Geschäft stark vom Kreditboom ab, der durch die Hypothekenkrise im vergangenen Sommer ein jähes Ende gefunden hat.

Ob die amerikanische Volkswirtschaft in eine Rezession abgleitet oder nicht, steht noch nicht fest. Die Chancen stehen 50 : 50, meinen Koryphäen wie der ehemalige Fed-Präsident Alan Greenspan und Harvard-Professor Martin Feldstein, der auch der Forschungseinrichtung National Bureau of Economic Research vorsteht. "Wenn es zu einer Rezession kommt, wird es diesmal wegen der Anfälligkeit des Finanzsektors besonders schwierig und schmerzhaft werden", fürchtet Martin Feldstein.

Die Börse jedenfalls war nicht überzeugt, dass die neuerliche Zinssenkung eine Rezession verhindert. In New York fielen die Aktienkurse am Mittwoch schon wieder, und am Donnerstag ging es auch in Frankfurt bergab.

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