Politische Krise in Bolivien: Seltener Wille zur Einigkeit

Suche nach Konsens: In Bolivien wollen Präsident Morales und die oppositionellen Bezirkschefs die Krise um die Verabschiedung einer neuen Verfassung beenden.

Boliviens Präsident Morales präsentierte im Dezember die neue Verfassung Bild: rtr

BUENOS AIRES taz Um einen Ausweg aus der seit Monaten schwelenden politischen Krise zu finden, haben sich Boliviens Präsident Evo Morales und die Präfekten der neun Bezirke des Landes erstmals wieder an einen Tisch gesetzt. "Ich möchte einen nationalen Pakt für ein neues Land," kündigte Morales an. Zustimmung kam aus den Reihen der oppositionellen Bezirke Santa Cruz, Tarija, Beni, Pando, Cochabamba und Chuquisaca.

Soviel Wille zur Einigkeit herrschte in Bolivien lange nicht mehr. Noch Mitte Dezember waren Anhänger und Gegner der Regierung zu Zehntausenden auf die Straße gegangen, und während Morales in La Paz die Verabschiedung einer neuen Verfassung feierte, forderten die Gegner in Santa Cruz, Tarija, Beni und Pando eine umfangreiche Autonomie von der Zentralregierung. Bei Schlägereien zwischen Angehörigen beider Lager wurden über 50 Menschen verletzt. Der Andenstaat schien kurz vor dem Auseinanderbrechen.

Zu Beginn des Treffens am Montag stellte Vizepräsident Álvaro García Linera eine Liste mit sechs Themen zusammen, über deren Behandlung Konsens herrscht. Die Einheit Boliviens, die Verteidigung der Demokratie, die Verstaatlichungsbemühungen bei der Wirtschaft, der allgemeine Politwechsel im Land, Bezirksautonomie und die Auszahlung der Altersrente. Er schloss jedoch nicht aus, dass es bei der neuen Verfassung zu Korrekturen kommen könnte. "Wir müssen die Widersprüche der Verfassung betrachten und die Mechanismen, wie wir sie korrigieren können," so der Vizepräsident.

In einer 15-stündigen Marathonsitzung hatte der Verfassungskonvent am 9. Dezember mit den Stimmen der Anhänger von Präsidenten Evo Morales noch fristgemäß den 411 Artikeln des neuen Grundgesetzes im Ganzen zugestimmt. Dazu war der Tagungsort eigens aus der Hauptstadt Sucre in die regierungsfreundliche Bergarbeiterstadt Oruro verlegt worden. Der Großteil der Opposition hatte aus Protest nicht an der Sitzung teilgenommen und nur 164 von 255 Abgeordneten des Verfassungskonvents beteiligten sich an der Abstimmung.

Ans Eingemachte war es bereits im November gegangen. Da hatten die Abgeordneten der Regierungspartei MAS im Kongress allgemeine Grundrente für Menschen ab 60 Jahre beschlossen. Das Gesetzesvorhaben war zwischen Regierungslager und der Opposition wegen seiner Finanzierung umstritten, denn die geht zu Lasten der Bezirke. Die bekommen zukünftig entsprechend weniger aus den Steuereinnahmen aus den nationalen Öl- und Gasverkäufen zugeteilt. "Wir werden unseren zivilen Widerstand gegen die undemokratische Regierung fortsetzen", hieß es damals aus Santa Cruz.

Der Widerstand kommt vor allem aus den Bezirken Santa Cruz, Beni, Pando und Tarija, dem so genannten Halbmond im Osten des Landes. Die Vier umfassen zwei Drittel der Landesfläche und gehören zu den reichsten der insgesamt neun Provinzen. Hier wird gut die Hälfte des bolivianischen Bruttoinlandsproduktes erwirtschaftet. Hier hat auch die konservative Opposition ihre Basis. Im Unterschied zum Westen des Landes ist die industriell und an Gasvorkommen reiche Region von weißen Eliten geprägt.

Die Konsensbemühungen der Regierung von Evo Morales sind ernst zu nehmen. Die neue Verfassung muss im Laufe des Jahres durch ein Referendum von der Bevölkerung angenommen oder verworfen werden. Die gescheiterte Abstimmung in Venezuela Anfang Dezember hat in dem noch tiefer gespaltenen Andenstaat für viel Besorgnis und viel Jubel gesorgt.

Darin scheint auch das Interesse der Opposition an den jetzigen Gesprächen seinen Grund zu haben. Hier liegt ihr Verhandlungsspielraum, den sie vor der letzten Abstimmung noch nutzen wollen.

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