Kommentar Jugendstrafrecht: Der Lernerfolg der Union ist dahin

Zieht die Ausländernummer noch? Die Abschieberhetorik der Union zeigt, wie schnell der zivilisatorische Fortschritt einer "Integrationsgesellschaft" verspielt werden kann.

Zieht die Ausländernummer noch? Eigentlich hatte die Union doch seit Roland Kochs letztem "Ausländer-Wahlkampf" mühsam gelernt, dass wir in einer "Integrationsgesellschaft" leben? Dazu passt die Abschieberhetorik, die auch Merkel nun bedient, beim besten Willen nicht.

Wohl auch deshalb besetzt die CDU diesmal ein wirkliches Problem: Der Anteil der Jugendlichen an den Gewalttätern steigt. Deshalb ist es durchaus sinnvoll, sich über die Jugendjustiz Gedanken zu machen, auch über das schnellere Verhängen von Haftstrafen. Aber die Union betont nun vor allem solche Aspekte, die einer psychischen Abspaltung gleichen: "Wegsperren" und "abschieben" sind die Synonyme dafür, dass die Gesellschaft etwas verdrängt, was sie an sich selbst nicht haben will. Deshalb wird der hohe Migrantenanteil an den Straftätern hervorgehoben. "Die" gehören nun wieder nicht zu "uns". Und schon ist die deutsche Mehrheit der Gewalttäter (75,2 Prozent!) aus dem Fokus gerutscht.

Es gibt Gründe, die Gewalttaten junger Migranten zu benennen, auch, sie zu skandalisieren. Aber mit bloßen Verdrängungsritualen nimmt man sie zugleich erschreckend wenig ernst. Wer wirklich etwas bewirken will, muss eher über effektive - und teure - Programme der Jugendgerichtshilfe sprechen, zu denen auch Erziehungscamps gehören können. Doch gerade Koch hat in Hessen bei allem, was resozialisieren soll - etwa Antiaggressionstrainings -, rund ein Drittel weggekürzt.

Zieht die Ausländernummer noch? Das hängt auch von den Medien ab. Doch auch die sind wie immer zur auflagensteigernden Stimmungspolitik bereit: Der Spiegel kann sich den Titel "Die Migration der Gewalt" nicht verkneifen. Bild beschwört ein linkes Kartell, das die "Wahrheit" über kriminelle Ausländer verschweigt, und die Sonntags-FAZ macht gar eine "Multikulti-Omertà" aus - alles Unterstützung für Koch, der ja mit seinem latenten Rassismus "die schweigende Mehrheit" in Deutschland repräsentieren will. Aus diesem Keller der unterbewussten Ressentiments hatte die Integrationsdebatte eigentlich mal herausführen sollen. Kochs Kalkül zeigt, dass dieser winzige zivilisatorische Fortschritt schnell wieder dahin sein kann.

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Jahrgang 1968, ist seit langem Redakteurin für Geschlechterpolitik in der taz und im kulturradio vom RBB. Von ihr erschien unter anderem das Buch „Der Kopftuchstreit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam“. 2009 wurde sie mit dem Preis „Der lange Atem“ des Journalistenverbands Berlin Brandenburg für die Berichterstattung über Geschlechterstereotype ausgezeichnet.

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