Campusmaut: ein Fall für die Toilettenspülung

ABSCHIED Das Bezahlstudium in Deutschland steht vor dem Aus. Mit dem Geld ist viel Schindluder getrieben worden

„Wieso es ‚sozial‘ sein soll, dass der junge Facharbeiter oder die Verkäuferin die Studienkosten für den gleichaltrigen Medizinersohn bezahlen, bleibt unerfindlich“

PETER GLOTZ, SPD-VORDENKER

BERLIN taz | Die Studiengebühren sind am Ende, nicht nur in Bayern. Auch das künftig rot-grün regierte Niedersachsen wird die Campusmaut beseitigen. Das bedeutet, dass schon bald in ganz Deutschland wieder gratis studiert werden kann.

Die Gebühren betrugen 500 Euro je Semester, das entspricht einem monatlichen Studienbeitrag von 83 Euro. Insgesamt sieben Bundesländer verlangten zwischenzeitlich Geld fürs Studieren. Startsignal war im Jahr 2005 ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts. Karlsruhe hob damals das Verbot des Bezahlstudiums durch ein Bundesgesetz auf. Danach führten, beginnend mit Baden-Württemberg, mehrere unionsgeführte Länder die Gebühren ein.

Das Hörergeld wurde gegen den scharfen Protest der Studierendenvertretungen erhoben. Allen voran das „Aktionsbündnis gegen Studiengebühren“ beklagte, Gebühren würde Arbeiterkinder am Studium hindern. Eine Studie des renommierten Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung zeigte freilich 2011, dass das Bezahlstudium nicht vom Studium abschreckt. Es könne kein „negativer Effekt von Studiengebühren auf die Studierneigung identifiziert werden“, schrieben die Forscher – aber keiner glaubte ihnen.

Das erste Bundesland, das bei den Gebühren wieder den Rückwärtsgang einlegen musste, war Hessen. Dort schrieb die Landesverfassung schon immer vor, dass „in allen öffentlichen Grund-, Mittel-, höheren und Hochschulen der Unterricht unentgeltlich ist“. Dennoch hatte der damalige Ministerpräsident Roland Koch (CDU) Studienbeiträge beschließen lassen. Die kurzzeitige rot-rot-grüne Mehrheit schaffte die Gebühren in Hessen im Jahr 2008 wieder ab. Diesem Beispiel folgten reihum die Länder Saarland, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Hamburg. Nun ist die Abschaffung in Niedersachsen und Bayern dran.

Damit wiederholt sich Geschichte. Deutschland ist, wie seit den 1970er Jahren, wieder komplett gebührenfrei – wenn man von der Erhebung von Studienbeiträgen an den Privathochschulen absieht.

Die Abschaffung der Studiengebühren kommt die Bundesländer teuer zu stehen. In den großen Flächenstaaten müssen dreistellige Millionenbeträge im Landeshaushalt aufgebracht werden, um die Einnahmeausfälle der Unis zu kompensieren. Allein in Nordrhein-Westfalen geht es dabei um eine Viertel Milliarde Euro. So viel muss der Finanzminister bereitstellen, damit mehrheitlich Akademikerkinder wieder umsonst studieren können. Der Anteil der Arbeiterkinder an den Hochschulen ist nämlich, wie das Studentenwerk in Sozialerhebungen belegt, verschwindend gering – und zwar auch ohne Gebühren. Von 100 Akademikerkindern landen 83 auf der Uni; von 100 Arbeiterkindern aber nur 11.

Auch in Bayern wird die Abschaffung der Campusmaut Hunderte Millionen kosten. Die Studenten fordern volle Kompensation für die Studiengebühren, „und zwar angepasst an die steigenden Studentenzahlen“, sagte der Erlanger Studentenaktivist Stefan Erhardt am Mittwoch. Solche abstrakten Zahlen lassen sich am Beispiel der Ludwig-Maximilians-Universität München konkret ausdrücken: Dort werden allein 300 Tutoren, also studentische Lehrkräfte, aus den Studiengebühren bezahlt.

In der Verwendung der Hörergelder lag von Anfang das große Problem des Bezahlstudiums. Mit den Beiträgen der Studenten trieben die Unis regelrecht Schindluder: In Bonn sollten für eine halbe Million Euro die Toiletten saniert werden. Hochschulen wie Göttingen oder Dortmund versenkten Gebühren in ihren Haushaltslöcher. Die Uni in Ulm plante, mit Hilfe der Campusmaut Hörsäle zu heizen – daraufhin sammelten Studenten Brennholz für die Uni.

Der am meisten begangene Fehler lag darin, das Geld der Studierenden in Neubauten zu investieren – obwohl Hochschulbau die originäre und vernachlässigte Aufgabe des Staates ist. In Passau sollte mit Gebühren einst eine Tiefgarage gebuddelt werden. Nicht nur die Studierenden liefen Sturm dagegen. Die Uni Bochum und das Land Saarbrücken verboten daher, Gebührengelder in Baumaßnahmen zu stecken. Aber auch Vorschriften konnten Unsinn nicht verhindern. Die Uni Osnabrück etwa finanzierte aus dem Gebührentopf ein Drachenboot.

Ob die Studiengebühren nun ein für allemal vom Tisch sind, lässt sich schwer vorhersagen. Eine schnelle Wiedereinführung wird es sicher nicht geben, dafür war der Aufwand für das Gebührenexperiment zu hoch. Anfang der 1990er Jahre begann angesichts total unterfinanzierter Unis die Debatte um die Wiedereinführung der Gebühren – die 15 lange Jahre dauerte, ehe sie wirkte. Die wirkungsvollsten Gebührenfreunde kamen übrigens aus der SPD. Vorreiter war der legendäre Parteiintellektuelle Peter Glotz. „Wieso es ,sozial‘ sein soll, dass der junge Facharbeiter oder die Verkäuferin die Studienkosten für den gleichaltrigen Medizinersohn bezahlen, bleibt unerfindlich“, sagte der 2005 verstorbene Glotz.

Ein anderer Sozialdemokrat provozierte seine Partei jahrelang als niedersächsischer Wissenschaftsminister mit dem berühmten Satz von Karl Marx, dass unentgeltliche Unis faktisch bedeuten, „den höheren Klassen ihre Erziehungskosten aus dem allgemeinen Steuersäckel zu bestreiten“. Der Mann heißt Thomas Oppermann und er forderte diese Gerechtigkeitslücke mit Studiengebühren zu schließen. Heute sitzt Oppermann als Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD im Bundestag und ist selbstverständlich – gegen Studiengebühren.

CHRISTIAN FÜLLER