Unruhen nach der Wahl: Gewalt in Kenia fordert viele Opfer

Nach dem Wahlbetrug werden überall aus dem Land Unruhen gemeldet. In den Leichenhallen stapeln sich die Toten, Oppositionsführer Odinga ruft zu Protesten auf.

Nach dem Wahlergebnis herrscht in Kenia die Gewalt Bild: dpa

NAIROBI taz Der Mob war offenbar so übermächtig, dass nicht alle fliehen konnten. Zwischen zehn und dreißig Menschen, so berichten mehrere Augenzeugen, verbrannten lebendig in den Flammen. Die Menschen waren vor der überall in Kenia wütenden Gewalt in das Gotteshaus in Eldoret im Westen des Landes geflohen und hatten sich sicher gewähnt. Unter den Opfern sollen auch Kinder sein.

Wegen der geltenden Nachrichtensperre gab es widersprüchliche Informationen. Möglicherweise hatte der Vorfall einen ethnischen Hintergrund: Die Volksgruppe der Kikuyu, zu der auch der umstrittene Präsident Mwai Kibaki gehört, ist seit dessen überhasteter Vereidigung am Sonntag Ziel von Angriffen. Im Wahlkampf hatten Kibaki und Oppositionsführer Raila Odinga gleichermaßen die Ethnien gegeneinander aufgehetzt. Der Frust über Kibakis Wahlbetrug bricht sich in Gewalt Bahn.

Das Massaker von Eldoret ist der traurige Höhepunkt der Unruhen, die Kenia seit Sonntag vom afrikanischen Musterstaat in ein Krisengebiet verwandelt haben. Wie schlimm die Lage ist, wird im Nairobis Leichenhalle deutlich. Hier stapeln sich die Toten, viele sind übel zugerichtet. "In den letzten Tagen sind hier 45 Leichen eingeliefert worden", sagt ein Mitarbeiter, der eigentlich Stillschweigen bewahren muss.

Noch mehr sind es offenbar in Kisumu, der drittgrößten Stadt des Landes. Augenzeugen haben im Leichenhaus von Odingas Heimatstadt mehr als 100 Leichen gezählt, darunter die von Frauen und Kindern. Die meisten sollen erschossen worden sein - und Schusswaffen hat nur die Polizei. In der Hafenstadt Mombasa wurde am Dienstag weiter gekämpft. Über offizielle Zahlen schweigt die Regierung sich aus. "Seit dem gescheiterten Putschversuch von 1982 haben wir keine solche Krise mehr gehabt", sagt die kenianische Menschenrechtlerin Gladwell Otieno.

Wo nicht geschossen wurde, verschanzten sich die Menschen in der Neujahrsnacht in ihren Häusern. Nach Feiern war so gut wie niemandem zu Mute in Kenias Hauptstadt, die seit der Bekanntgabe der Wahlergebnisse wie im Belagerungszustand daliegt. "Ich habe keinen einzigen meiner Angestellten überreden können, zu kommen, aber für die paar Gäste kann ich auch alleine die Drinks servieren", sagt der Besitzer einer der größten Diskos in Westlands, Nairobis Partymeile. Auf der Tanzfläche drücken sich zehn Besucher herum. Kurze Zeit später wird der Club geschlossen.

Nairobis größter Slum Kibera lag am Neujahrsmorgen in gespenstischer Ruhe da. "Die Leute haben sich tagelang gegenseitig umgebracht, es war schrecklich", sagt einer der Bewohner. "Jetzt versuche ich, irgendwo etwas zu essen für meine Familie aufzutreiben." Doch die meisten Läden haben aus Angst vor Plünderungen geschlossen. Wo sie offen sind, liegt kaum etwas in den Regalen. Seit Heiligabend haben Lieferanten keine neuen Waren mehr gebracht. Brot, Milch, Gemüse oder Obst gibt es nicht mehr. "Ich fühle mich wie im Bürgerkrieg", sagt eine der Kundinnen, die an einer Tankstelle ein paar angeschimmelte Tomaten beäugt und schließlich kauft.

Die Ruhe in Nairobi wird wohl nicht lange anhalten. Am Dienstag rief Raila Odinga, der Kibaki einen "zivilen Putsch" vorwirft, seine Anhänger erneut auf, friedlich zu bleiben. "Die Bevölkerung Kenias hat miterlebt, wie ihre Demokratie misshandelt, stranguliert und schließlich umgebracht wurde", hatte der wortgewaltige Politiker zuvor erklärt. Seine Unterstützer rief Odinga zur Teilnahme an einem Trauermarsch für die Demokratie am Donnerstag auf, den die Polizei am Neujahrstag untersagte. Odinga will dennoch marschieren: Mindestens eine Million Kenianer erwartet er, friedlich und mit schwarzen Armbinden.

Viele befürchten, dass die Demonstration gewalttätig enden könnte. Der Staat versucht, jede aufkeimende Kritik zu unterdrücken. So verhängte die Regierung unmittelbar nach der Vereidigung Kibakis eine Nachrichtensperre. "Da halten wir uns nicht dran, wir berichten dennoch live", wagte am Dienstag ein Reporter des Radiosenders Kiss FM anonym zu sagen. "Es schwirren so viele Gerüchte durchs Land, dass wir unbedingt über die Fakten informieren müssen - sonst gibt es noch mehr Tote." Odinga selbst warf der Regierung vor, die Polizei dazu einzusetzen, Angst und Schrecken zu verbreiten. "Es sind nicht die betrogenen Wähler, sondern es ist die Regierung, die ihre Sicherheitskräfte durch das Land schickt, um zu provozieren und Menschen willkürlich zu erschießen." Auf diese Weise solle jeder Widerstand im Keim erstickt werden.

Am Neujahrstag stieg der Druck auf Präsident Kibaki, die Ergebnisse der Wahl von unabhängiger Seite kontrollieren zu lassen. Die USA, die Kibaki unmittelbar nach seiner Vereidigung als einzige gratuliert hatten, zogen ihre Glückwünsche wieder zurück. Es gelte, besorgniserregende Unregelmäßigkeiten zu untersuchen, hieß es stattdessen. Der britische Premier Gordon Brown forderte Kibaki auf, auf Odinga zuzugehen. Am deutlichsten wurde der Chef der EU-Wahlbeobachter, Alexander Graf Lambsdorff. "Ich habe selber Formulare gesehen, die geändert worden sind", berichtet er. "Es stammt alles aus der Zentralprovinz und ist zu Gunsten des Präsidenten gelaufen." Lambsdorff fordert die Neuauszählung der in den Wahlkreisen gesammelten Ergebnisse. Doch die Regierung ist derzeit zu keinem Kompromiss bereit.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.