Berliner Adventskalender: Frank-Zappa-Straße 19

180 Bands nutzen die 90 Proberäume im Orwohaus in Marzahn. Es ist komplett ausgebucht.

Bild: Benjamin von Brackel

Jedes Haus hat eine Nummer. Doch was dahintersteckt, wissen nur wenige. Zum Glück gibt es Adventskalender: Da darf man jeden Tag eine nummerierte Tür öffnen - und sich überraschen lassen.

Graue Lagerhäuser ragen in den ebenso grauen Himmel, Gleise und Hochspannungsleitungen ziehen quer über das Marzahner Areal, auf einer Brücke donnern Lastwagen darüber hinweg. Ein paar Treppenstufen von der Brücke hinab und man steht vor einem achtstöckigen, tristen Betonbau: dem Orwohaus, einer einstigen Fabrik des DDR-Filmmaterialherstellers Orwo und heute eines der größten Probenhäuser für Bands in Europa.

"Das ist ein Paradies für die Leute hier", sagt René Bohrenfeldt, ehrenamtlicher Mitarbeiter beim Orwohaus. "So ein Gebäude ist woanders nicht zu finden." Insgesamt nutzen 180 Bands die 90 Räume; das Haus ist komplett ausgebucht und auch die Warteliste ist voll. Und weil ringsherum kein Mensch wohnt, können die Musiker so laut und so lange spielen, wie sie wollen. Zwei Festivals fanden bisher schon statt - beide in der großen Halle des Erdgeschosses. Hier sollen einmal Clubräume mit Bühne entstehen. Bisher stehen nur eine Couch und ein Container auf dem Betonboden, der Kälte abstrahlt.

Die Stufen hinauf sind von Neonlicht beleuchtet, Kabel und Rohre hängen an den Decken, der Geruch von Zigarettenrauch vermischt sich mit dem frischer Farbe. Die Graffiti an den Wänden sind mit weißen Pinselstrichen übermalt. Weil nur eine Miete von 7 Euro pro Quadratmeter verlangt wird, ist das Geld knapp. Profite seien aber zweitrangig: "Wir haben den Anspruch, die Jugendkultur zu fördern", sagt Bohrenfeldt. Mit einer Million Euro Unterstützung von der Stiftung Deutsche Klassenlotterie sollen zunächst die Fenster, die Heizung und die Brandschutztüren erneuert werden.

Hinter einer Tür im vierten Stock steht Wolfgang. Der 37-Jährige mit roten, struppigen Haaren und Bart probt gerade am Keyboard, ist aber eigentlich Posaunist in einer Band mit fünf Sängerinnen. "Ich bin fast ständig hier", sagt er lächelnd. Am Orwohaus gefalle ihm besonders, dass er sich mit anderen Bands austauschen kann. "Ein Kreativpool, der sich gegenseitig befruchtet", nennt das Bohrenfeldt blumig.

Eine Etage höher im fünften Stock duftet es nach Räucherstäbchen. Die Quelle ist schnell gefunden: Hinter einer Holztür im abgedunkelten, nur von einer roten Glühbirne beleuchteten Raum stehen fünf Rastafaris der Band "Unite Tribe". Einer trommelt immer heftiger auf sein Schlagzeug, zwei Gitarristen und ein Keyboarder lassen psychedelische, sphärische Klänge durch den Raum strömen, Sängerin Ciara Bradshaw haucht sanfte Töne.

Auch bekanntere Bands proben im Orwohaus, wie die Deutsch-Popper Mia, Silbermond und die Ohrbooten. Dem Erfolg des Orwohauses geht jedoch eine wechselvolle Geschichte voraus: Nachdem die Treuhandliegenschaftsgesellschaft (TLG) nach der Wende die einstige Fabrik des Filmherstellers Orwo (Or für Original, Wo für Wolfen) übernommen hatte, stand sie lange leer - bis Ende der 90er-Jahre Musiker das Haus in der damaligen "Straße 13" für sich entdeckten. Wegen Brandschutzmängeln kündigte die TLG 2004 den Musikern, doch diese gründeten den Verein Orwohaus und protestierten so lange, bis sie das Haus schließlich kaufen konnten.

Im Jahr 2007 folgte der nächste Coup: Die Straße vor dem Haus wurde in Frank-Zappa-Straße umbenannt. "Dieser Geist gegen die Normen stand als Vorbild für das Projekt", sagt René Bohrenfeldt.

Im sechsten Stock riecht es fruchtig. Hinter einer doppelten Tür sitzt Schlagzeuger Alex (20) von der Band "Orange Distortion" in der Mitte des Raumes. Mit freiem Oberkörper trommelt er auf sein Schlagzeug. Zwei orientalische Teppiche bedecken den Boden, sonst ist das Zimmer recht kahl. Den Raum habe ihm sein Schlagzeuglehrer untervermietet. "Wir haben ewig lange einen Proberaum gesucht", sagt Alex. Vielen Musikern gehe es ähnlich, so Bohrenfeldt. Sie wollen aus den Kellern raus, können sich aber keine größeren Proberäume leisten. Genau dieser Musiker nehme sich das Orwohaus an - soweit es die Räume zulassen.

Ein Schritt auf das Dach, und Bohrenfeld ist bei den Expansionsplänen. Er zeigt auf ein Lagerhaus gegenüber: Das sei komplett leer und damit ein Kandidat für das Orwohaus 2 - irgendwann einmal.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.