Wie Hase & Igel: Frischfleisch für Kinderschänder

Millionen von Kindern weltweit machen Erfahrungen mit Prostitution und sexueller Gewalt. Während engagierte Polizisten und NGOs bei der Täterverfolgung verstärkt zusammenarbeiten, zeigen Richter und Staatsanwälte bisher kein großes Interesse an Strafverfolgung

Auch gefährdet: Jungs in Slums von Neu Dehli Bild: dpa

taz: Gibt es solide Zahlen über das Ausmaß der sexuellen Ausbeutung von Kindern im Tourismus?

Mechtild Maurer: Nein, es gibt nur Schätzungen, man geht von Millionen Kindern aus, die Erfahrungen in der Prostitution und mit sexueller Gewalt haben. Aber das betrifft nicht nur den Tourismus. Uns liegen nur wenige Studien vor wie die von Kleiber vom Institut für Sozialpädagogik in Berlin. Kleiber hat hochgerechnet, dass jährlich etwa 400.000 deutsche Männer um die Welt reisen und sexuelle Kontakte mit Frauen haben. Fünf bis zehn Prozent davon haben Sex mit Kindern, das wären 20.000 bis 40.000 Männer.

Wie viele Verfahren gab es in Deutschland im vergangenen Jahr?

Uns sind rund zwanzig Fälle mit deutschen Tätern bekannt, die von der Polizei strafrechtlich ermittelt wurden. Aufgrund des Föderalismus wird es aber schwierig, wir haben so viele Hürden, die Fälle erscheinen in keiner Polizeistatistik, weil diese nicht zwischen Inlands- und Auslandsstraftaten unterscheidet.

Wie werden die Täter in Deutschland verfolgt?

1993 wurde bei uns das Exterritorialprinzip eingeführt. Das bedeutet, dass deutsche Straftäter für ihre Straftat im Ausland auch in der Heimat verfolgt und verurteilt werden können. Außerdem ist sexuelle Ausbeutung ein Offizialdelikt. Sobald die Polizei von einer Straftat hört, muss sie tätig werden, auch ohne Anzeige eines Betroffenen. Seit der Straftatbestand seit 1997 "schwerer sexueller Missbrauch" heißt, wurde die Strafverfolgung verschärft. Jetzt hat die Polizei mehr Instrumente für den Einsatz, aber noch nicht alle, die sinnvoll wären. Sexueller Missbrauch ist kein Delikt organisierter Kriminalität, deshalb dürfen die Strafverfolger bei Tatverdacht auf sexuellen Missbrauch oder Verbreitung von Kinderpornografie nicht das Telefon abhören.

Sind die Behörden in Deutschland an dem heiklen Thema interessiert?

Im Innenministerium sicher nicht. Es sind eher die Polizeioffiziere vor Ort, denen dieser Straftatbestand sehr nahegeht, wenn sie die grausamen Bilder von asiatischen und osteuropäischen Opfern sehen. Die Täter machen die Bilder selbst und stellen sie ins Internet: Analsex, Quälereien, Kinder, die an Geschlechtsteilen und Brustwarzen gepierct oder in Katzenkäfigen eingesperrt sind.

Wie verhalten sich das Auswärtige Amt und die deutschen Botschaften?

Mechthild Maurer

Geboren 1954, Sozialwissenschaftlerin und Journalistin, leitet seit sechs Jahren als Geschäftsführerin die Kinderrechtsorganisation Ecpat Deutschland

Ecpat Deutschland e. V. - Arbeitsgemeinschaft zum Schutz der Kinder gegen sexuelle Ausbeutung - ist ein bundesweiter Zusammenschluss von 28 Institutionen und Gruppen. Die Arbeit des Vereines wird von dem Grundsatz geleitet, dass jedes Kind Anspruch auf umfassenden Schutz vor allen Formen der kommerziellen Ausbeutung und des sexuellen Missbrauchs hat. Ecpat Deutschland setzt sich dafür ein, dass die UN-Konvention über die Rechte der Kinder eingehalten wird, dass Ursachen von Missachtung aufgezeigt und Verstöße mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verfolgt werden. Die Arbeitsgemeinschaft führt in Zusammenarbeit mit staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen Kampagnen und Projekte zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit, zur Entwicklung von Präventivmaßnahmen und zur Schaffung von rechtlichen Grundlagen zum Schutz der Kinder durch. Ecpat Deutschland e. V. ist Mitglied von Ecpat International -(End Child Prostitution, Pornography and Trafficking of Children for Sexual Purposes) - einer internationalen Kinderrechtsorganisation mit Sitz in Bangkok (Thailand).

Epcat Deutschland e. V., Alfred-Döblin-Platz 1, 79100 Freiburg, Tel (0761) 4568 7148, info@epcat.de www.epcat.de

Das Auswärtige Amt sagt ganz klar: Unsere Aufgabe ist es, den deutschen Bürger im Ausland zu schützen, wir haben keinen Schutzauftrag für das Opfer. Die Verbindungsbeamten bei den deutschen Botschaften im Ausland hingegen sind inzwischen sensibel für das Thema, was sie früher nicht immer waren.

Gibt es bei der Polizei eigene Kommissariate für Kinderprostitution und -pornografie?

Nein, aber seit März gibt es in Berlin ein Kommissariat gegen Kinderhandel, das erste in der Republik. Die sind übervoll mit Fällen. Für Kinderpornografie gibt es auch schon eigene Kommissariate, aber noch nicht für Kinderprostitution. Beim Bundeskriminalamt gibt es Spezialkräfte, die schwerpunktmäßig Fälle von Kinderpornografie und Sexualstraftaten im Ausland bearbeiten.

Wo hakt es bei der Täterverfolgung noch?

Das Problem ist nicht mehr die Polizei, sondern die Justiz. Wir haben Richter, die kein großes Interesse haben, und Staatsanwälte, die im Vorfeld des Prozesses viele Fälle einstellen.

Woran liegt die passive Haltung der Justiz?

Richter sind sehr fortbildungsresistent, sie haben überhaupt keine Ahnung, was in diesem Deliktfeld abläuft. Zudem sind diese Fälle nicht revisionsbeständig, das heißt, dass der Fall nicht in die nächste Instanz geht. Man muss sehen, dass die Täter in der Regel Superanwälte haben, die sofort zur nächsten Instanz preschen. Das ist für die Karriere eines Richters nicht förderlich, außerdem sind diese Verfahren sehr aufwendig, die Richter sind überlastet. Es dauert sehr lange, bis das Gericht alle Unterlagen aus den Tatländern bekommen und alles übersetzt hat.

Wie läuft die Zusammenarbeit mit den "Tatländern"?

Die Zusammenarbeit der deutschen Behörden mit einigen Tatländern hat sich sehr verbessert. Überall dort, wo die Polizei mitarbeitet, gibt es Verurteilungen. In Thailand, Kambodscha, auf den Philippinen, aber auch in Brasilien, Costa Rica und Marokko läuft es ganz gut. In Thailand sitzen zurzeit etwa 40 deutsche Täter mit teilweise relativ hohen Haftstrafen ein. In Kambodscha sind zwei Deutsche zu hohen Haftstrafen verurteilt worden, 12 und 20 Jahre. Aber überall dort, wo die Polizei nicht kooperiert, verschwinden die Täter. Ist doch klar, dass ein Polizist, der so viel im Monat verdient, wie ein Tourist für das Taxi vom Flughafen in die Stadt bezahlt, die Hand aufhält, wenn er 500 Euro vom Angehörigen eines Täters bekommt. Mit Ländern wie Sri Lanka und der Dominikanischen Republik ist die Kooperation immer noch problematisch, mit Kenia funktioniert sie gar nicht.

Gibt es Zahlen zum Umsatz der Kindersexbranche, darüber, wie viel durch Kinderpornografie und -prostitution erwirtschaftet wird?

12 Milliarden Dollar pro Jahr ist die letzte Zahl von Interpol, die wir kennen. Heute liegt der Umsatz aber sicher höher, denn wir haben eine unwahrscheinliche Zunahme von kinderpornografischen Bildern aus asiatischen und lateinamerikanischen Ländern. Das Geschäft mit Kinderpornografie und Kindersextourismus verquickt sich zusehends. Immer mehr Täter suchen "Frischfleisch", wie das die Pädosexuellen nennen, immer mehr Kinder sind involviert. Für uns ist das wie ein Hase-und-Igel-Rennen.

Wie sieht das Profil der Täter aus?

Die kriminologische Forschung kennt ganz unterschiedliche Tätergruppen. Sie unterscheidet zwischen Tätern, die ganz auf das Kind ausgerichtet sind, und solchen, die nur zeitweise sexuelle Kontakte mit ihm suchen. Eine Tätergruppe sind Männer, die in einer Lebenskrise stecken, Beziehungsprobleme haben, mit erwachsenen Frauen nicht mehr können und deshalb immer jüngere suchen. Sie haben große Angst vor dem Risiko der Aufdeckung und suchen sich Kinder vor allem auf Reisen. Dann gibt es die Gruppe der krankhaft Pädophilen sowie gewaltbereite Täter, die beispielsweise wegen Körperverletzung schon im Polizeiregister stehen und jetzt ein neues Gewaltfeld suchen; das reicht bei Kindern von Sadomasopraktiken bis zu Tötungsdelikten. Eine weitere Tätergruppe sind Männer, die in den Urlaubsländern leben und vor allem 14- bis 17-jährige Kinder suchen und sich etwas vormachen: Das sind ja gar keine Kinder, sondern junge Frauen. Eine letzte Tätergruppe umfasst Männer, die eigentlich gar nicht vorhaben, Kinder zu missbrauchen. Sie suchen immer einen neuen Kick. Sadomaso oder sexuellen Kontakt mit einem Haustier hatten sie vielleicht schon. Nun entdecken sie das Kind.

Gibt es auch einheimische Täter, die Kinder missbrauchen?

Ja, eine neue Unicef-Studie hat das für Kenia bestätigt. Ungefähr ein Viertel der Täter dort sind Einheimische. Das wissen wir auch aus Thailand.

Ist sexueller Missbrauch von Kindern reine Männersache?

Nein. Wir wissen wenig über Frauen, aber es zeichnet sich ab und ist durchaus möglich, dass wir in Zukunft auch mehr Frauen als Täter haben.

Woraus schließen Sie das?

Es gibt schon jetzt Fälle aus Kenia, Frauen mit minderjährigen Massais. Und in Kuba mit kleinen Jungs. Zu Frauen mit kleinen Mädchen gibt es eine erste Studie, die auf ein großes Dunkelfeld schließen lässt. Aber bisher sind neunzig Prozent der Täter sicher Männer.

Wie sieht heute die Landkarte der sexuellen Ausbeutung von Kindern aus?

Es gibt eine Verlagerung der Reiseströme von Thailand nach Kambodscha und weiter in Richtung Laos und Vietnam. Die Philippinen und Sri Lanka sind nach wie vor in. Indien ist zum großen Problem geworden, dort gibt es einen wichtigen Binnentourismus, also viele einheimische Täter, zum Beispiel in Goa. Auch in Marokko und Tunesien hat der sexuelle Missbrauch von Kindern zugenommen, dort vor allem mit kleinen Jungs. Allein in Marokko betreuen wir drei Fälle mit deutschen Tätern.

Und in Europa?

In Europa wird Bulgarien zunehmend zum Problemland, die Strände am Schwarzen Meer.

Warum suchen sich die Täter immer neue Reiseziele aus?

Die Pädosexuellenszene verfolgt aufmerksam jede Polizeibewegung und informiert darüber sofort im Internet in ihren Chats. Die klassischen Pädosexuellen sind super organisiert, sie verabreden sich in den Reiseländern, überall dort, wo sie anonym bleiben zu können glauben. Weil in Thailand jetzt viele Razzien durchgeführt und auch viele Täter verhaftet werden, haben die Täter ihr Haupteinsatzgebiet nach Kambodscha verlagert. Dort läuft das Geschäft sehr hart ab, es gibt ständig Nachschub von Kindern, die leichter zu rekrutieren sind als in Pattaya. Trotzdem sind die Täter auch weiter in Thailand tätig, weil Pattaya solch ein riesige gewachsene Szene hat.

Wer verdient an der Rekrutierung der Kinder?

Kinder in den Slums von Dhaka, Bangladesch. Sie werden von Menschenhändlern oft in die Prostitution gezwungen oder verkauft Bild: dpa

Unterschiedlich. Man denkt immer an große mafiöse Strukturen. Die gibt es zwar auch, aber in vielen Ländern haben wir es mit kleinen kriminellen Netzwerken zu tun, oft mit familiärem Hintergrund. Zum Beispiel die ältere Lady, die vielleicht auch mal in der Prostitution war, Kontakt in die Dörfer hat, Vertrauen zu den Familien aufbaut und als Späherin geschickt wird, um Kinder anzuwerben. Daneben gibt es viele Straßenkinder, die Blumen verkaufen oder klauen und irgendwann im Bordell landen.

Auf welchem Weg werden die Kinder rekrutiert?

In Kambodscha gibt es viele Buden mit Spielautomaten, wo den ganzen Tag Hardcorepornos laufen. Dort kann man die Kinder anfixen. Man bezahlt sie dafür, dass sie am Spielautomaten sitzen. Man setzt sie einem Umfeld aus, das unheimlich gewalttätig ist in puncto Sexualität. Zuhälter nennen das "Zureiten" der Opfer. Zusätzlich setzt man die Kinder unter Drogen.

Welche Rolle spielen die NGOs in den Täterländern?

Die NGOs sind sehr aktiv bei der Beobachtung und der Beschreibung von Tätern, sie liefern der Polizei Anfangsinformationen, an die diese in vielen Ländern allein gar nicht herankäme. Die NGOs sind Partner von Ecpat. Das sind Organisationen, die Streetwork machen, die Shelter betreiben, auch Anlaufstellen, die Kinder nach Razzien aufnehmen. Dabei arbeiten die NGOs ganz unterschiedlich. Wir haben Gruppen darunter, die die Täter selbst beobachten, die auch schon mal einen Computer oder ein Bettlaken sichern und es dann zur Polizei bringen. Andere gehen mit den Kindern zu medizinischen Untersuchungen und klären sie darüber auf, dass das, was man mit ihnen anstellt, eine Straftat ist und sie sich dagegen wehren können.

Wie verhält sich die Tourismuswirtschaft in Deutschland zu diesem schmutzigen Geschäft?

Stellvertretend für die deutsche Reisebranche hat sich der Deutsche ReiseVerband (DRV) im Jahr 2001 nach Verhandlungen mit Ecpat für die Einhaltung des Verhaltenskodex zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung verpflichtet [siehe Kasten oben]. Doch der DRV tut sich sehr schwer mit dem Thema. Das zeigt sich daran, dass die personellen Ressourcen und Mittel nur minimal sind. Und aus dem jährlichen DRV-Evaluationsbericht geht nicht hervor, welches Reiseunternehmen welche Maßnahmen durchgeführt hat, zum Beispiel bei der Mitarbeiterschulung. Nach einer Übereinkunft im Verband darf nämlich nur der DRV als Ganzes, aber kein einzelnes Unternehmen mit dem Verhaltenskodex werben.Bei einem DRV-Treffen im August haben nun einige Reiseveranstalter gefordert, dass auch die anderen DRV-Mitglieder endlich Schulungen in ihren Unternehmen durchführen. Andernfalls wollen sie mit ihren eigenen Aktivitäten an die Öffentlichkeit gehen.

Welche deutschen Reiseveranstalter stehen zu ihrer Verantwortung?

Eins der Motive aus den ECPAT-Aktionspostkarten Bild: ECPAT Deutschland

Die Rewe-Touristik und auch Studiosus-Reisen sehen die Chance, sich positiv zu positionieren: Wenn wir etwas Gutes tun, wollen wir es auch nach außen tragen. Überrascht war ich, wie viel bei der Rewe-Touristik gemacht wurde. Dort werden Schulungen durchgeführt und wird Inhouse-Schulungsmaterial für die Trainer bereitgestellt, Destination Manager, Coastal Manager oder Airline Manager werden informiert und lassen ihre Mitarbeiter schulen.

Und wie verhalten sich die Branchenriesen?

Thomas Cook hat den Hintern lange gar nicht hochkriegt. Doch im August legten sie sich schriftlich fest, in diesem Jahr noch die erste Inhouse-Schulung ihrer Mitarbeiter zu machen. Auch TUI hat sich für nächstes Jahr dazu verpflichtet.

Welche Rolle spielt Ecpat bei der Umsetzung des Verhaltenskodex?

Erstens müssen wir einen Aktionsplan mit den Reiseunternehmen entwerfen, zweitens Schulungen durchführen. Bei den Unternehmen, wo es gelungen ist, Schulungen durchzuführen und sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, sieht man auch die Bereitschaft der Mitarbeiter, aktiv zu werden. Für die Schulungen müssten eigentlich die Veranstalter zahlen, die machen das aber nicht. Bisher hat das die öffentliche Hand, vor allem die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), übernommen.

Sie haben eingangs vom Hase-und-Igel-Wettrennen gesprochen.

Wir hinken immer hinterher, während sich die Täter schon wieder irgendwo anders eine neue Destination gesucht haben. Du drückst unten am Ballon, und oben entsteht eine neue Blase. Am Anfang war es Thailand, dann folgte Kambodscha, jetzt ist es Laos. Und je nachdem, wie es politisch weitergeht, könnte es in Zukunft Birma sein. Das bedeutet aber, dass wir überall am Ballon drücken müssen, damit er irgendwann platzt. Das klappt nur, wenn in diesem Deliktbereich alle Akteure ernsthaft zusammenarbeiten.

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