Prozess gegen Marco W.: Fortdauer von U-Haft fragwürdig

Seit sieben Monaten sitzt Marco W. inzwischen im Gefängnis in Antalya. Am Freitag steht ein neuer Verhandlungstag an - der zumindest das Ende der U-Haft markieren müsste.

Sitzt weiter im türkischen Gefängnis: Marco W. Bild: dpa

Am Freitag steht Marco W. zum achten Mal im türkischen Antalya vor Gericht. Erstmals liegt nun die übersetzte Aussage der 13-jährigen Britin Charlotte vor, die Marco vorwirft, er habe im Osterurlaub versucht, sie zu vergewaltigen.

Charlottes türkischer Anwalt Ömer Aycan drängt nun auf ein schnelles Urteil, möglichst noch am selben Tag. Aycan rechnet mit einer Haftstrafe zwischen acht und 15 Jahren. Marcos deutscher Verteidiger Michael Nagel will dagegen die Ladung von Charlotte verlangen, um sie vor Gericht befragen zu können. Er geht nicht von einem schnellen Ende des Prozesses aus und will erreichen, dass Marco bis dahin aus der Untersuchungshaft entlassen wird.

Tatsächlich sitzt Marco bereits seit sieben Monaten in Untersuchungshaft, um seine Anwesenheit im Prozess sicherzustellen. Legt man deutsche Maßstäbe auf diesen Fall an, ist dies schon jetzt viel zu lang. Türkische Juristen betonen, dass das dortige Prozessrecht in seinen Grundzügen längst dem deutschen entspricht, so dass die Fortdauer der U-Haft wirklich fragwürdig ist.

Das Gericht nimmt Fluchtgefahr an, weil Marco Ausländer ist. Das ist zwar auf den ersten Blick nachvollziehbar und deutsche Gerichte sind in vergleichbaren Fällen meist genauso streng. Allerdings könnte die Fluchtgefahr auch durch Zahlung einer hohen Kaution abgewendet werden.

Noch mehr spricht gegen die Fortdauer der U-Haft aber, dass sie mit zunehmender Zeit unverhältnismäßig wird. Schließlich ist die U-Haft für einen Jugendlichen in einem fremden Land besonders belastend. Außerdem ist Untersuchungshaft nur dann vertretbar, wenn eine spätere Verurteilung naheliegt. Auch daran muss man nach der bisherigen Beweislage wohl zweifeln. Beim Vorwurf der Vergewaltigung steht offensichtlich Aussage gegen Aussage. Marco W. sagt, er hatte mit seiner Urlaubsbekanntschaft Charlotte nur einvernehmlichen Sex gehabt. Charlotte wirft ihm dagegen vor, er habe versucht, sie auf ihrem Hotelzimmer zu vergewaltigen. Medizinische Gutachten sind widersprüchlich.

Solche Konstellationen sind bei Sexualstraftaten leider häufig, weil es typischerweise keine direkten Zeugen der Tat gibt. Viel kommt deshalb auf die Glaubwürdigkeit der Beteiligten an. Doch warum sollte Charlotte den deutschen Jungen falsch belasten? Gerade in Fällen sexueller Gewalt kommt so etwas selten vor. Denkbar ist hier allerdings, dass Charlottes Mutter mit dem Flirt ihrer Tochter nicht einverstanden war und diese deshalb die Schuld auf Marco schob.

Eine Befragung von Charlotte durch das Gericht und auch die Anwälte scheint daher unabdingbar - zumal Charlottes erste Schilderung der Vorgänge in der Türkei wohl nicht auf eine Gewalttat hindeutete. Wenn Charlotte nun wegen ihrer psychologischen Belastung nicht reisefähig ist, wie ihr Anwalt sagt, dann ist ihr das natürlich nicht vorzuwerfen. Aber es schmälert den Beweiswert der Aussage, die sie bei der britischen Polizei gemacht hat.

Doch selbst wenn eine Vergewaltigung oder ein entsprechender Versuch nicht sicher genug bewiesen werden kann, könnte Marco zumindest eine Verurteilung wegen Kindesmissbrauchs drohen. Denn mit einem Kind unter 14 Jahren ist jeder Sex tabu - sowohl in Deutschland wie in der Türkei. Strafbar hat sich Marco allerdings nur dann gemacht, wenn er Charlottes Alter gekannt oder zumindest geahnt hat. Er sagt allerdings, sie habe sich für 15 ausgegeben. Für Marcos Gutgläubigkeit spricht, dass die beiden sich in einer Disco kennengelernt haben, wo Kinder eigentlich nichts zu suchen haben.

Beim Vorwurf des Kindesmissbrauchs ist eine Verurteilung deshalb eher noch unwahrscheinlicher. Es spricht also vieles dafür, zumindest die Untersuchungshaft bis auf weiteres zu beenden. Marcos Anwälte haben schon mehrfach angekündigt, bei Fortdauer der U-Haft den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) anzurufen.

Bisher ist eine Beschwerde aber wohl noch nicht eingereicht worden. Sie würde Marco zunächst auch wenig bringen. Das Verfahren in Straßburg ist langwierig und kann einige Jahre dauern. Bis zu einer regulären Entscheidung ist Marco längst frei oder verbüßt seine Strafhaft. Außerdem könnte der Gerichtshof gar nicht die Freilassung aus der U-Haft anordnen, sondern Marco nur Schadensersatz zusprechen.

Zwar kann der EGMR einem verklagten Staat auch "vorläufige Maßnahmen" empfehlen, wobei die angesprochenen Staaten solchen - unverbindlichen - Empfehlungen in der Regel nachkommen. Der Gerichtshof macht von diesem Mittel üblicherweise aber nur Gebrauch, wenn das Leben oder die körperliche Unversehrtheit eines Antragstellers irreperabel bedroht sind, zum Beispiel bei der drohenden Abschiebung in einen Folterstaat. Dass der Gerichtshof im Fall Marco eine Empfehlung zur Freilassung aus der U-Haft ausspricht, ist deshalb unwahrscheinlich.

Möglicherweise bauen die Anwälte nur ein Droh-Szenario auf, um die türkische Justiz unter Druck zu setzen. Falls der Straßburger Gerichtshof Eilmaßnahmen ablehnt, wäre das für Marco in der Türkei schließlich auch nicht gerade hilfreich.

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