Vorbildliches Teamwork an Gesamtschule: Keine Einzelkämpfer mehr

An einer Oldenburger Gesamtschule arbeiten Lehrer Hand in Hand. Statt einzeln zu agieren, bereiten sich Lehrer in Teams auf den Unterricht vor.

Auch Schüler sollen durch Teamwork lernen, z. B. wie man mit Konflikten umgeht. Bild: dpa

OLDENBURG taz 30 kleine Weltkugeln aus Styropor leuchten auf dem Fenstersims um die Wette. 30 Schüler verteilen sich in Grüppchen über den Raum. Hinten an der Wand gegenüber der Tafel hängen die Erdkontinente, riesig und aus dunkelrotem Papppapier. "Margret", fragt eine Schülerin und deutet auf eine im Buch abgebildete Flagge, "ist das die Fahne von Vietnam?"

Unterricht im Fächerbereich Gesellschaft/Geografie/Politik in einer fünften Klasse der Oldenburger Integrierten Gesamtschule (IGS) Flötenteich. Die Schüler nehmen den fächerübergreifenden Themenblock "Kinder dieser Welt" durch. Jeder Schüler hat bereits einen Vortrag über ein Kind aus einem anderen Land gehalten. Auf den Spuren ihres Kindes haben sie die fremden Länder entdeckt und die Lebensumstände dort. Auch die kleinen Weltkugeln auf den Fenstersimsen sind dabei entstanden. Sie haben Euro-Domino gespielt und eine Internet-Recherche zur UNO-Kinderrechtskonvention gemacht. Nun arbeiten sie in kleinen Teams von zwei bis sieben Schülern an einem Informationsplakat über den Kontinent, aus dem "ihr" Kind stammt.

Die Gesamtschule Flötenteich ist eine der Schulen, die sich dem Teamansatz verschrieben haben. Sowohl Lehrer als auch Schüler arbeiten in Gruppen. Die Flötenteicher Lehrer etwa haben sich zu Jahrgangsteams zusammengeschlossen. Das heißt, eine Gruppe von acht bis elf Lehrern übernimmt zusammen eine Jahrgangsstufe und begleitet sie von der 5. bis zur 10. Klasse. Auch die Klassenräume der Jahrgangsstufe, die unmittelbar nebeneinander liegen, bleiben über die Jahre die gleichen. Und jede Jahrgangsstufe hat eine eigene Farbe - auch das gibt den Schülern Sicherheit.

Sogar die Schulleitung organisiert sich selbst in einem Team, erzählt Rektor Hartmut Steinhauer. Dazu gehört unter anderem ein Oberstufenleiter, denn zu der Gesamtschule mit 735 Schülern zählt auch eine gymnasiale Oberstufe mit 100 Schülern.

Für Klassenlehrerin Margret Fehrlage ist es schon der zweite Durchlauf in einem Lehrerteam. Mit ihrem letzten Team hat sie bereits eine Menge Materialien entwickelt, auf die sie jetzt zurückgreifen kann. "Damals, als wir das zum ersten Mal gemacht haben, war es wirklich viel Arbeit", erzählt die ruhige Frau mit dem gepflegten dunklen Pagenschnitt. Denn die Fachcurricula sind für die Jahrgangsteams nur die Grundlage, von der sie ausgehen. Sie machen daraus einen Jahresplan mit eigenen Themenzugängen.

Ein Beispiel dafür ist der Themenplan "Kinder der Welt", den die fünfte Klasse durchnimmt. Die beiden Lehrer haben lange daran gearbeitet, dass in ihm alle Fragestellungen der Fachbereiche Geografie, Politik und Gesellschaft abgedeckt werden. Sie haben sich ausgedacht: Jeder Schüler wählt sich ein Kind aus einem anderen Land. Dieses Kind stellt er den anderen vor. Dann finden sich die Schüler zusammen, deren Kinder aus dem gleichen Kontinent stammen, und gestalten eine Wandzeitung.

Die Lehrer entwerfen Materialien und Arbeitsblätter. Sie planen: Welches Material brauchen wir für die Weltkugel, die die Kinder selbst basteln sollen? Oder: Was ist ein witziger Weg, damit die Kinder sich die europäischen Länder und ihre Hauptstädte einprägen?

Damit Jahresplanung und Materialen rechtzeitig stehen, beginnt die Vorbereitung für das kommende Schuljahr bereits im Frühjahr. Klassenlehrerin Fehrlage schaut den kommenden Jahren mit Spannung entgegen: "Diesmal sind in unserem Team sehr viele junge Lehrer, für die dieser Ansatz neu ist."

Eine dieser jungen Lehrerinnen im Team ist Alina Grothmann. Neben ihrer Tätigkeit als Klassenlehrerin der Jahrgangsstufe 5 ist sie Fachlehrerin für Englisch. Die glatten blonden Haare lose hochgesteckt, sitzt sie entspannt zurückgelehnt im Lehrerzimmer in der Jahrgangsstufe 5. "Im Referendariat habe ich mich schon als Einzelkämpferin gefühlt", meint sie, "und das Studium hat mich auf den beruflichen Alltag auch nicht wirklich vorbereitet." Gestört hat sie die Einsamkeit der Vorbereitungen, wenn sie viele Stunden alleine ihren Job in der Klasse präparierte. Die Arbeit im Team macht ihr Spaß - auch wenn es erst mal mehr Aufwand bedeutet. Dafür genießt sie es, nicht jedes Thema bis ins Kleinste selbst vorbereiten zu müssen.

Sie ist froh, jetzt an der Gesamtschule Flötenteich zu unterrichten, wo alle Jahrgangsteams ein eigenes Lehrerzimmer haben. Dieses hier ist groß und hell, mit Holzmöbeln und Pflanzen ausgestattet und einer abgetrennten Ecke, in der ein Computer steht. Das Durchschnittsalter der Lehrer im Raum ist deutlich unter 40.

Auch die Schüler üben sich früh in Teamarbeit. An einem großen Sperrholztisch vor der offenen Zimmertür, der wie selbstgemacht aussieht, hat sich eine Gruppe von sieben Kindern niedergelassen. Zwei Jungen fläzen sich auf dem Tisch, ein Mädchen steht über einen großen Pappbogen gelehnt, auf dem in großer schwungvoller Schrift "Afrika" steht. Alle reden durcheinander. Ab und zu schaut Margret Fehrlage hinaus und begutachtet den Fortschritt.

In den ersten Monaten an der Schule wechselte die Zusammensetzung der Teams alle drei Wochen, damit sich die Schüler kennenlernen konnten. Nun arbeiten sie zum ersten Mal in festen Gruppen, in denen sie bis zum Ende des Schuljahres bleiben werden. Ein Junge vom großen Sperrholztisch draußen kommt herein und geht zur Klassenlehrerin: "Mara hat alles an sich gerissen", beschwert er sich, "sie lässt uns nichts machen!" "Das glaube ich euch nicht", erwidert Margret Fehrlage. "Ihr seid sieben Kinder, da werdet ihr euch doch nicht von einer bestimmen lassen. Fangt mal an, selber etwas zu tun!" Es gehört eben zum sozialen Lernen, mit Konflikten umzugehen. Die nicht ausbleiben, wenn die Schüler längere Zeit miteinander auskommen müssen. Aber dafür gibt es Streitschlichter. Und Feedback-Runden. Die Moderation übernimmt ein Schüler.

Aber auch innerhalb der Jahrgangsteams kann es zum Streit kommen. Feedback-Runden mit Schülern gibt es dann nicht. Aber eine Supervision, in der die Team-Mitglieder versuchen, die Konflikte zu entwirren. Dennoch: Nicht immer ist das Team am Ende noch identisch mit dem Anfangsteam.

Der Schülerin, die nach der Fahne von Vietnam fragte, hat Margret Fehrlage die Arbeit übrigens nicht abgenommen. Sie forderte sie auf, ein anderes Buch zum Vergleich heranzuziehen - und es selbst herauszufinden. Denn die Kinder sollen früh lernen, selbständig und eigenverantwortlich zu arbeiten. Die Lehrer verstehen sich dabei eher als Moderatoren des Lernprozesses.

In den sechs Jahren, die sie die Schüler begleiten, haben die Lehrerteams Zeit, sie zu fordern und zu fördern - durch individuelle Lehrpläne. Die besseren Schüler kommen dann schneller voran, wenn sie in Gruppen oder für sich arbeiten. Und die Lehrer haben mehr Zeit für die Kinder mit Problemen.

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