Politologe Trenin: "Russland braucht einen Schiedsrichter"

Der russische Politologe Trenin sieht in Machtkämpfen zwischen Klans die größte Gefahr für die Entwicklung des Landes. Der Liberalismus habe dennoch eine Perspektive.

"Ausreichendes Maß an Unterstützung für Putin": Polizisten und Präsidenten-Anhänger Bild: dpa

taz: Herr Trenin, waren die Wahlen ein Sieg oder eine Niederlage für den russischen Präsidenten Wladimir Putin?

Dmitri Trenin: Putin hat ein ausreichendes Maß an Unterstützung erhalten. Diese ermöglicht es ihm, die Partei "Vereintes Russland" zu einer politischen Institution zu machen und sich dann an deren Spitze zu stellen. So könnte er nach seinem Rücktritt vom Amt des Staatschefs auf die Politik indirekten Einfluß nehmen.

Ist denn Vereinigtes Russland" noch nicht als Partei institutionalisiert?

Das ist weder ein Partei im westlichen noch im sowjetischen Sinne, obwohl sie einige Charakteristika aufweist, die an die KPdSU erinnern. Derzeit ist "Vereinigtes Russland" eine Gruppe von Bürokraten, die auf Kreml-Linie sind und in der Hauptsache ihre eigenen Interessen verfolgen. Das ist eine sehr bröckelige Konstruktion, die keine ideologische Plattform und keine öffentlichen Politiker hat. Ihr einziger öffentliche Politiker ist kein Mitglied und heisst Wladimir Putin. Putin hat mit großer Unlust sein Schicksal mit dieser Partei verbunden. Doch er hat entschieden, dass das die effektivste Methode ist, um seinen Plan umzusetzen.

Russland scheinen unsichere Zeiten bevorzustehen. Worin sehen Sie derzeit die größte Gefahr für die weitere Entwicklung des Landes?

Die größte Gefahr besteht darin, dass die Klans in den höchsten Etagen der Macht anfangen, sich zu überwerfen und in einen offenen Kampf eintreten. Wir haben schon Anzeichen dafür gesehen, dass ein solcher Kampf existiert. Der hat sich vor den Wahlen noch verstärkt. Deshalb braucht es einen Schiedsrichter, der die Konflikte steuert und reguliert. Das könnte Putin sein.

Braucht Russland Putin weiterhin?

So würde ich das nicht sagen. Eine solche Aussage käme einer vollen Unterstützung des Präsidenten gleich. Ich würde es anders ausdrücken: Russland braucht in dieser wichtigen Etappe eine Rotation an der Staatsspitze. Es geht darum, eine minimalen Stabilität der bestehenden Machtkonstruktion sicherzustellen, die gerade im Umbau begriffen ist. Dafür braucht Russland einen Schiedsrichter, der es den wiederstreitenden Interessen nicht gestattet, so aufeinander loszugehen, dass das Land wieder im Chaos und in Machtkämpfen versinkt.

Warum sind derzeit die Liberalen so schwach?

Die Liberalen müssen grundsätzlich ihre Strategie und Taktik ändern und endlich ihre Lektionen lernen, die sie das Leben seit Ende der 90er Jahre gelehrt hat. Sie müssen sich vereinen und, um mit Marx zu sprechen, Rückhalt bei der nationalen Bourgeoisie suchen, der russischen Mittelklasse. Auch ist die Abkehr von einer Konzentration auf Menschenrechtsarbeit notwendig. Das bedeutet nicht, dass diese Arbeit nicht wichtig wäre, doch sie sollte nicht im Zentrum der Tätigkeit einer Partei stehen.

Hat der Liberalismus in Russland eine Perspektive?

Ich glaube, sogar eine sehr gute. In Russland wird gerade ein nationaler Kapitalismus geboren. Und der ist seinem Wesen nach liberal. Und deshalb sind gerade hier die Liberalen gefordert. Jedoch bin ich überzeugt, dass wir andere liberale Parteien brauchen, mit einer anderen Führung. Prognosen sind derzeit schwierig, doch die russische Geschichte endet nicht 2007 oder 2008. Das hoffe ich zumindest.

INTERVIEW: BARBARA OERTEL

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