Langzeitbeochachtung einer Haupschulklasse: Die Suche nach dem Traumberuf

Zum ersten Mal treffen sich frühere HauptschülerInnen der Werner-Stephan-Oberschule zum Klassentreffen. Einige haben einen Ausbildungsplatz gefunden - aber kaum einer den Wunschjob.

So ganz leicht stellt sie sich nicht wieder ein, die alte Lockerheit, mit der Johannes und Robert, Sebastian und Arafat und die anderen früher miteinander umgegangen sind. Das liegt gar nicht so sehr an der Zeit, die seit dem letzten Schultag vergangen ist, sondern auch an der ungewohnten Atmosphäre: Im Restaurant, an einem langen Tisch, findet das erste Klassentreffen der ehemaligen HauptschülerInnen der Tempelhofer Werner-Stephan-Oberschule statt. Fast ein Jahr lang hatte die taz die Klasse 10/3 begleitet, um mitzuerleben, wie die SchülerInnen den Übergang ins Berufsleben meistern. Zum Schuljahresende im Sommer hatten vier SchülerInnen einen Ausbildungsplatz gefunden.

Sarah ist mit ihren Eltern zum Klassentreffen gekommen. Sie gehörte zu den Integrationskindern in der Klasse; Sarah hat das Downsyndrom. An der Werner-Stephan-Oberschule gehörte sie zum Klassenverband und bekam besondere Betreuung. Nun besucht sie eine Spezialschule mit dem "Förderschwerpunkt geistige Entwicklung". Die Umstellung sei ihr leicht gefallen, berichten Sarahs Eltern. Sarah lächelt und nickt und schmust, hält Händchen mit ihrer Schwester, kuschelt mit Papa. Mit ihrer früheren Klassenlehrerin Ruth Jordan plaudert sie, als wären sie nie getrennt gewesen. Zu den anderen nimmt sie keinen Kontakt auf.

Die sitzen am anderen Tischende und sind ziemlich laut - so laut, wie Jungs eben sind, wenn ihnen gerade ein bisschen peinlich zumute ist. Robert und Johannes, Sebastian, Arafat, Dennis und Alexander sind gekommen - warum die anderen den Weg in das griechische Restaurant am Bundesplatz nicht gefunden haben, weiß keiner. Termin und Ort des Klassentreffens standen schon vor dem letzten Schultag fest - nur die Uhrzeit musste noch mal verschoben werden, da manche der Jugendlichen auch am Samstag arbeiten.

Zum Beispiel Dennis. Der schüchterne kleine Blonde war bereits vor den Sommerferien aufgeblüht, nachdem feststand, dass er seinen Traumberuf würde lernen können. Unter spektakulären Umständen hatte Dennis aus einem Drei-Tage-Praktikum einen Lehrvertrag gemacht - er hatte ein gebrochenes Steißbein verschwiegen und mit zusammengebissenen Zähnen sein Allerbestes gegeben. Nun hat er einen Ausbildungsplatz als Konditor in einer französischen Bäckerei und schwärmt: "Mein Chef ist der beste Chef, den man haben kann." Er lerne "von der Pike auf alles", berichtet Dennis begeistert. Unterm Tisch verteilt er zum Beweis seines Könnens mit Schokolade gefüllte Croissants zum Probieren.

Für Alexander und Robert sind die ersten Monate ihrer Ausbildungszeit nicht ganz so erfreulich verlaufen. Alexander, der in einem Ausbildungsprojekt eine Lehre als Betonbauer begonnen hatte, musste bereits abbrechen. Drei Fünfen hatte er an der Berufsschule geschrieben, "in Deutsch, Englisch und Sozialkunde". Damit hätte er das Probehalbjahr nicht geschafft. Unglücklich ist Alexander trotzdem nicht: Vom Projektträger, der Knobelsdorffschule in Spandau, wurde ihm angeboten, nach einem weiteren Schuljahr einen neuen Versuch in der Berufsausbildung zu unternehmen. Als einzigem Hauptschüler, berichtet Alexander stolz, sei ihm dieses Angebot gemacht worden: "Alle anderen Hauptschüler sind schon weggegangen."

Darüber freut sich auch Ruth Jordan. Dass die wenigen HauptschulabsolventInnen, die überhaupt Ausbildungsplätze finden, oft an den Anforderungen der Berufsschulen scheitern, weiß sie gut: "Die Berufsschulen können eben nicht mehr auf die Besonderheiten der Schüler eingehen. Da muss jeder mit."

Darüber stöhnt auch Sebastian. Er hatte sich zum Schuljahresende schon darauf eingestellt, seine Schulzeit an einem Oberstufenzentrum fortzusetzen. Dann kam in den Sommerferien der ersehnte Anruf: In der Kantine der BSR konnte Sebastian eine Ausbildung zur "Fachkraft im Gastgewerbe" antreten. Die Arbeit in der Küche liebt er, doch Berufsschule ist auch ihm ein Gräuel: "Da sitzt immer irgendein Quatschkopf neben dir, und wenn der dann weggesetzt wird, kommt der nächste Quatschkopf." Mitkommen ist dann schwer. "Ich bin eben eher ein Praktiker", seufzt Sebastian.

Robert, der Computerfreak, könnte eigentlich die ganze Zeit von seiner Arbeit reden. Er macht eine Ausbildung zum Systemelektroniker an der Charité. Das heißt vor allem: Kontrolle und Reparatur technischer und medizinischer Geräte. "Die Pumpen gehören mir", sagt Robert und meint damit, dass er die bereits eigenständig reparieren darf. Ansonsten wird seine Arbeit streng kontrolliert: "Wir dürfen nicht mal eine Glühbirne wechseln, wenn wir nicht die Qualifikation dafür haben", sagt Robert. Ganz und gar glücklich ist er mit seinem Ausbildungsplatz nicht. Er würde lieber lernen, technische Geräte zu bauen, als sie zu reparieren, sagt Robert.

Johannes größtes Problem an seiner jetzigen Schule ist der Mädchenmangel. Der ehemalige Klassensprecher der 10/3 lernt am Oberstufenzentrum für Kraftfahrzeugtechnik. 50 von 3.000 Schülern seien dort weiblich, behauptet er. Mit dem Lernstoff kommt Johannes klar. Er will das Abitur machen und irgendwann vielleicht doch noch seinen Traum verwirklichen und Pilot werden. "Vielleicht bei der Bundeswehr", überlegt er.

Bundeswehr - Arafat hat bereits seinen Musterungsbescheid bekommen. Der gebürtige Palästinenser will den Dienst an der Waffe verweigern und stattdessen lieber Zivildienst leisten. Auch er hängt einem alten Traum nach: Arzthelfer zu werden war eigentlich sein Wunschziel. Derzeit lernt Arafat in einem Ausbildungsprojekt Gas- und Wasserinstallateur. Dass das Oberstufenzentrum für Wirtschaft, wo er sich eigentlich angemeldet hatte, zu schwer für ihn war, habe er bereits nach der ersten Woche gemerkt, sagt Arafat. Am stärksten von allen seinen ehemaligen Mitschülern wirkt Arafat heimatlos, unruhig - er hat seinen Weg offenbar noch nicht gefunden. Was er heute macht, steht in keiner Verbindung zu den Plänen und Ideen während der Schulzeit. Außerdem bezieht Arafat gerade eine eigene Wohnung. Mit der Trennung seiner Eltern ist auch die Familie zerbrochen. "Ist schon okay", sagt er. Immerhin trifft er in seiner Ausbildungsmaßnahme viele alte Bekannte: "Das ist wie ein Zuhause."

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