Russland vor den Wahlen: "Putin ist provinziell und unklug"

Viele Russen wollen auf keinen Fall das Chaos wieder erleben, das unter Boris Jelzin herrschte, meint die Politologin Lilia Schewzowa. Sie denken immer noch, dass Putin ein Modernisierer ist.

Das kleinere Übel: Wladimir Putin. Bild: ap

taz: Frau Schewzowa, sind die Wahlen am kommenden Wochenende in Russland überhaupt von Belang?

Lilia Schewzowa: Die Parlamentswahlen sind keine Wahlen. Und das ist das Paradox, weil der Kreml daraus gar kein Hehl macht. Er sagt ganz offen: Das sind keine Parlamentswahlen, sondern das ist ein Referendum zur Unterstützung des scheidenden Präsidenten Wladimir Putin. Wir erleben eine Absage des Kremls an die Wahlen zur Duma, eine Unterminierung des Parlaments und des Mehrparteiensystems - nur um das politische Leben von Wladimir Putin zu verlängern.

Aber warum unterstützen so viele Menschen Putin?

Sie sehen keine Alternative; Und die ist schwer zu finden, wenn sie nicht im Fernsehen vorkommt. Die Menschen erinnern sich an Jelzin und haben Angst vor einem neuen Chaos. Für sie ist Putin das kleinere Übel. Zudem denken viele immer noch, dass Putin ein Modernisierer ist. Ihnen ist klar, dass die Macht korrupt ist. Gleichzeitig jedoch verstehen sie, dass sie Gefahr laufen die Stabilität zu untergraben, wenn sie sich gegen Putin stellen. Falls aber innerhalb der nächsten Monate jemand anderes auftaucht, werden sich die Menschen abwenden - von Putin, seinen Beratern und dem System.

Putins Partei Vereinigtes Russland wird die Wahlen auch ohne Fälschungen hoch gewinnen. Warum dann diese Konfrontation mit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, der OSZE?

Das ist die große Dummheit einer Staatsmacht, die sowieso alles kontrolliert: alle 95.000 Wahllokale, das Fernsehen, die Opposition, die Straße, den Verstand der Menschen mithilfe des Fernsehens. Die Macht kann gar nicht daran zweifeln, dass die Partei Vereinigtes Russland gewinnt. Dennoch hat sie Angst. Sie glaubt nicht an sich selbst. Dass sie im Vorfeld keine Beobachter zugelassen hat, deutet darauf hin, dass man sich für Manipulationen ein Hintertürchen offen lassen will. Und dann meint Moskau wohl, auf diese Art Stärke demonstrieren zu können - nach dem Motto: Russland steht über den Wahlbeobachtern und den Abkommen mit der OSZE. Doch alles zusammen zeigt nur, wie provinziell, aggressiv und unklug die Macht agiert.

Glauben Sie, dass sich das System von innen heraus reformieren kann?

Nein, in diesem System gibt es keinen Pluralismus, keine unabhängigen Richter, keine politischen Parteien und keine fairen Wahlen. Das heißt, dieses System kann sich von innen heraus nicht verändern. Genauso so wenig, wie eine Frau an sich selbst eine Schönheitsoperation durchführen kann. Dafür braucht es eine Einwirkung von außen.

Wie könnte diese Einwirkung aussehen?

Die Pragmatiker, die es innerhalb des Systems gibt, sollten anfangen nachzudenken, wie man da herauskommt, mithilfe des Volkes. Als die Rentner 2005 gegen die Abschaffung ihrer Privilegien auf die Straße gegangen sind, hat die Macht das umstrittene Gesetz fallen gelassen.

Ist die Entwicklung in der Ukraine ermutigend?

Ich bin optimistisch. Natürlich haben die orange Kräfte Fehler gemacht. Doch sie haben zwei entscheidende Dinge geschafft: Sie haben den Zusammenhalt der Ukraine bewahrt, niemand spricht mehr von einer West- und Ostukraine. Und sie lösen ihre Probleme auf friedlichem Wege. Niemand könnte sich dort vorstellen, auf das Parlament zu schießen. Die Ukraine sucht jetzt nach einem Konsens, und die Chancen dafür stehen gut. Sogar Wiktor Janukowitsch, den Russland so gerne als Präsidenten gesehen hätte, sagt jetzt: Wir wollen uns in Europa integrieren.

Wie beurteilen Sie das Verhalten des Westens gegenüber Russland?

Es ist schwierig, dem Westen etwas vorzuwerfen. Denn er hat die Logik der russischen Transformation nicht verstanden. Schon unter Jelzin hätte der Westen die Möglichkeit gehabt, einen stärkeren Einfluss auf Russland zu nehmen, also die Mannschaft Jelzins dazu zu bringen, auf unabhängige demokratische Institutionen zu setzen. Stattdessen hat der Westen der Bildung eines autoritären Systems in Russland Vorschub geleistet. Jetzt ist es viel schwieriger geworden, Einfluss auf Russland zu nehmen. Wenn aber der Westen seine Realpolitik weiter führen will, das heißt vor allem Geschäfte mit der russischen Führung machen, und sich nicht darum kümmert, dass es dort keine Demokratie gibt, so ist das ein großer Fehler.

Was also tun?

Die optimale Variante wäre, dass der Westen flexiblere Formen findet, um alle Themen anzusprechen. Das heißt Russland einzubinden und gleichzeitig Moskau daran zu erinnern, dass es Mitglied des Europarates und der Parlamentarischen Versammlung ist und die Helsinki-Akte unterschrieben hat.

INTERVIEW: BARBARA OERTEL

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