Achse des Reggae von Klaus Walter
: Heiliger Pfannen-Groove

Steeldrums? Das waren doch diese Ölfässer, auf denen gut gelaunte Neger trommelten, damals, kurz nach Erfindung des Farbfernsehens. Steelbands? Wurden doch immer bei Easy Listening Parties von wissend grinsenden DJs aufgelegt. Was man damals vor lauter Sehen nicht hören konnte, dokumentiert „Sand & Steel“: 6 Steelbands, 46 Tracks von 1957 bis 1971. Der klassische Sound der Steeldrums von Jamaica und Trinidad ist die Musik der Carnivals und stammt von den aus Afrika in die Karibik verschleppten Sklaven. Als Trommelersatz dienten Mülleimer, Pfannen, später Autoteile und Fässer.

Das Recycling ist charakteristisch für die Musik der Karibik: so wie Fässer als Musikinstrumente wiederverwendet werden, so auch die Melodien und Rhythmen. Über die Jahre wurden die Steeldrums verfeinert, Basspfannen kamen hinzu, später auch Bongos und Kuhglocken. Heute gibt es Steelbands mit sage und schreibe 300 Musikern, die Reggae, Calypso und Salsa zu einem eleganten afrokaribischen Groove verschmelzen. Einträchtig wird hier ein Tropical Merengue mit dem Thema von Love Story verschmolzen. Selbst Dylans „Blowing in the wind“ erwacht zum Leben. Gleich neben der „Battle Hymn of The Republic“. Großer Spaß, ohne blödes Grinsen.

„Sand & Steel – The Classic Sound of Jamaican Steeldrums“ (Trojan Records/Rough Trade)

Gott hat die besten Tunes

Unter Reggae-interessierten Nichtpuristen hat es sich eingebürgert, die Studio-One-Kollektionen aus dem Hause des Londoner Wiederveröffentlichungslabels Soul Jazz durchweg großartig zu finden. Deshalb muss hier mal gesagt werden: nein, nicht alle. Manche Kompilationsidee ist blöd („Women“), manche Auswahl allzu beliebig („400% Dynamite“). Und jetzt, wo das gesagt ist, darf wieder geschwärmt werden. „Studio One Roots 2“ bringt 19-mal den Nachweis, dass nicht der Teufel all die besten Tunes hat, wie Prefab Sprout mal meinten, sondern der Jah-gläubige Jamaikaner. Schlimmer noch: Je heller (oder dunkler) der religiöse Wahn, desto magischer die Musik.

Nehmen wir die Zion All Stars und ihr Loblied auf den heiligen Berg Zion. Dahinter steckt Count Ossie, der Hexenmeister des Nyahbinghi. Auch diese Musik geht auf westafrikanische Drum-&-Vocal-Rituale zurück, in Jamaika wurde Nyahbinghi in stundenlangen Sitzungen in abgelegenen Rasta-Camps performt (siehe auch das Nyahbinghi Box Set, Trojan Records!).

Warum aber entwickelt der spiritistische Hokuspokus des Roots-Reggae so einen Zauber auch auf Leute, die das Wort Wurzeln niemals in einem anderen als biologischen Sinne verwenden und die nicht bereit sind, sich den Rastafarianismus in politisch okaye Befreiungstheologie schönzudenken? Wenn ich das wüsste, dann würde mir anderes einfallen als noch mehr Sakralkitsch-verdächtige Adjektive wie „tief“ oder „beseelt“. So bleibt nur: schönste Musik der Welt, komplett mit recycelten Melodien („The sun is shining“) und Riddims („Satta Massagana“).

„Studio One Roots 2“ (Soul Jazz)

Liebe ist ein Minenfeld

Liebhaber jamaikanischer Musik sind auch diese sieben Männer unterschiedlicher Hautfarben, die in ihrer neuseeländischen Heimat an der Spitze der Charts stehen. Vor „Based on a true story“ sind auch hierzulande Leute in die Knie gegangen, die nicht an Jah glauben und Soul haben. Leute, die Fat Freddy nicht für „perlende E-Pianos“ und „federweiche Downbeat-Rhythmik“ loben und ob „magisch fetter Bassläufe“ nicht „in Ekstase geraten“.

Aber die gibt’s auch, und sie machen genauso skeptisch, wie manche Texte aus der Goldkehle von Fat Freddys Joe Dukie. Ich muss jedenfalls an Seal und Xavier denken, wenn jemand zum freigestellten Klang einer perlenden Akustikgitarre behauptet, nein beschwört, es sei etwas natürliches und mystisches an der Art, wie er sie (oder ihn? Eher nicht) liebt. Liebhaber jamaikanischer Musik außerhalb Jamaikas neigen dazu, ihr angeborenes Defizit – das Nichtjamaikanische – durch eine gewisse Feierlichkeit des Ausdrucks ausgleichen zu wollen. Wenn ihnen dann noch – wie mir – die Worte fehlen, ihre Liebe zu jamaikanischer Musik gegen vernünftige Einwände zu begründen, dann tappen sie schnell in Fallen, die Douglas Coupland vor Zeiten cultural aping und native aping taufte. Das weite Feld zwischen Respekt bzw. Respect vor einer anderen, bewunderten Kultur und dem quasireligiösen Sichanbiedern ist ein Minenfeld. Auf diesem Feld stehen Fat Freddys Drop aus Wellington/NZ irgendwo zwischen den frühen Massive Attack aus Bristol/UK und den späten Söhnen aus Mannheim/BRD.

Fat Freddys Drop: „Based on a true story“ (Sonar Kollektiv/Rough Trade)