Kolumne Overseas: Der US-Wahn mit dem Truthahn

Mit Thanksgiving steht der amerikanischste aller Feiertage wieder an - und damit auch der Stress für die Familien. Es gilt, die Truthan-Tage zu überstehen.

In dieser Woche wird das Leben in den USA wieder für ein paar Stunden zur Ruhe kommen. Doch bis es so weit ist, gilt es, die nationalen Truthahn-Tage zu überstehen. Am Donnerstag findet der traditionelle Erntedanktag statt. "Thanksgiving" ist der absolute "Run" einer 300-Millionen-Nation auf nur fünf Zutaten: Truthahn, Süßkartoffel-Püree, Brotfüllung und die amerikanische Variante von Preiselbeer-Marmelade, Cranberrysauce.

Es ist schon schlimm genug, dass ausgerechnet jetzt in Hollywood die Drehbuchautoren streiken. Seit zwei Wochen laufen auf dem Sendeplatz meiner Lieblings-Fernsehshow wie dem "Colbert Report" Wiederholungen. Aber es kommt noch schlimmer.

Denn selbst wenn keine Kreativen in Hollywood den Aufstand proben, verwandeln sich in der Thanksgiving-Woche alle Nachrichtensender, Talkshows und Zeitungen in Kochbeilagen. Statt Diskussionen darüber, wie man den Irakern endlich klarmachen könnte, dass sie gnadenlos versagt haben, höre ich nur noch Talkshows zum Thema Kochen. Wie sucht man den besten Truthahn aus? Wann ist ein Truthahn koscher? Da kommen so nützliche Tipps über den Äther wie der, dass man zur Not den Riesenvogel auch zwei Tage in der Waschmaschine einlegen könne. Oder dass die Brotfüllung viel besser schmeckt, wenn sie aus altem Hamburgerbrötchen-Teig gemacht wird.

Im letzten Jahr waren der Liebste und ich zu diesem amerikanischsten aller Feiertage bei einer reizenden Familie in Detroit eingeladen. Eileen und Sean, ein älteres Ehepaar, waren begeistert, ihren Truthahn mit internationaler Besetzung verspeisen zu können. "Eileen ist eine sehr gute Hausfrau", lobt Sean. Sie könne im Gegensatz zu vielen amerikanischen Hausfrauen wirklich gut kochen.

Prima, freuen wir uns, dann lernen wir die heimische Hausmannskost kennen. Also gehts raus in die eiskalte Detroiter Luft und hinein in einen Mega-Supermarkt. Dort steuern wir mit dem Einkaufswagen von einer Warenpyramide zur nächsten. Heraus kommen wir mit eimergroßen Familienpackungen an Püree, Maisgemüse und einer gigantischen Tüte, in die ein Truthahn eingeschweißt ist.

Beim Öffnen der äußeren Truthahn-Tüte staunen wir. Im Hintern des eingeschweißten Vogels steckt ein Thermometer. In einer Extratüte sind die Bratanweisungen eingeschweißt, dazu eine Bratensaucen-Tüte und eine Tüte mit vorgefeuchteter Brotfüllung. Der Vogel muss samt Bratfolie in den Backofen gesteckt werden.

Während er brät, schauen wir uns im Fernsehen an, wie US-Präsident George W. Bush den "First Turkey", also den fürs Weiße Haus bestimmten Pracht-Truthahn, begnadigt. Ein anderer Truthahn muss trotzdem dran glauben, denn bei den Bushs soll es auch die Speisen geben, die dem amerikanischen Kontinent entstammen.

Im lokalen Fernsehen folgen Nachrichtensendungen, in denen über die ersten Hausbrände des Turkey-Tages berichtet wird. Denn mittlerweile gehört es schon fast zur Tradition, dass viele nicht so gute amerikanische Hausfrauen und -männer ihre Wohnungen bei dem Versuch in Brand stecken, den Truthahn, damit es schneller geht, zu frittieren. Zwischenzeitlich öffnet Eileen die Dose mit dem Süßkartoffelpüree und die Dose Maisgemüse. Alles wandert samt der Brotfüllung, schwupps, in die Mikrowelle.

Als der "Turkey" sich seiner Vollendung im Backofen nähert, fiept es plötzlich. Das Einwegthermometer zeigt an, dass alles gar ist, und poppt, um den Erfolg auch optisch zu signalisieren, aus dem Hintern heraus. Unsere Gastgeber sind "thrillt", hochbegeistert, und beginnen unter vielen Beratschlagungen den Vogel aus seinem Plastikmantel herauszuoperieren.

Natürlich denken sie uns die hirschkeulengroßen "Drumsticks", also Truthahn-Schlegel, zu, alles garniert mit ordentlichen "helpings" Püree und Brotfüllung und Maisgemüse und Cranberrysauce. Wir geben unser Bestes und mampfen und mampfen, dem amerikanischen Kontinent sei Dank.

OVERSEAS Fragen zu Thanksgiving? kolumne@taz.de Morgen: Bettina Gaus über FERNSEHEN

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.