Filmfestival: Die unergründlichen Wege der Kamera

Beim zweiten Handyfilmfest lernen Jugendliche, wie man sich einen Plot ausdenkt. Doch nicht alle Jungfilmer gebrauchen das Medium als künstlerische Ausdrucksform: Spontane Gewaltfilme sind weiterhin en vogue.

Runter von der großen Leinwand, rein ins kleine Display Bild: Reuters

Das Kottbusser Tor ist ein beliebter Treff - auch für Drogendealer. Ein Deal der besonderen Art wird an einem Spätnachmittag im November auf dem U-Bahnsteig eingefädelt: Ein zwielichtiger Gemüsehändler versorgt einen gesundheitsbewussten Salat-Junkie mit einem frischen Kohlkopf. Doch der hat nicht nur Freude daran, denn der Stoff ist heiß begehrt.

Die Szene ist Teil eines kurzen Handyspielfilms - gedreht auf einem Film-Workshop des zweiten Handyfilmfestes, das von Oktober bis Dezember in Berlin stattfindet. Den Salat-Junkie gibt kein Geringerer als der Berliner Schauspieler und Grimme-Preisträger Oktay Özdemir (21), der in Filmen wie "Wut" oder "Knallhart" mit Erfolg klischeelastige böse Jungs mit Migrationshintergrund mimte. Mit seinem Kollegen Eralp Uzun (26, "Alle lieben Jimmy") hilft er Handyfilmern auf die Sprünge. Özdemir klärt die meist jugendlichen Teilnehmer in der Kreuzberger Mittelpunktbibliothek etwa über die Bedeutung der Kameraführung auf: "Überlegt euch vor dem Drehen die Wege der Kamera und lasst sie so lange wie möglich laufen." Einige der 15 Anwesenden sind allerdings trotz ihres jungen Alters schon alte Hasen.

Der 14-jährige Yusuf etwa hat seinen Beitrag für den diesjährigen Wettbewerb des Handyfilmfestes bereits abgedreht. Maximale Länge: drei Minuten. Er hat sich einen Liebesfilm ausgedacht, in dem er selbst die Hauptrolle spielt: einen Geschäftsmann, der seine Freundin mit einem anderen im Bett erwischt. Auf dem ersten Filmfest 2006 hat Yusuf in einem Handyfilm seines Bruders mitgespielt und selbst Erfahrungen mit dem Drehen und Schneiden am Computer gemacht.

Veranstaltet wird das Filmfest für die kleinformatigen Clips vom Verein Kulturgymnastik, finanziert wird es vom Quartiersmanagement Zentrum Kreuzberg/Oranienstraße. Groß war der Andrang zur Premiere im vergangenen Jahr - auch "weil das Fest für viele Jugendliche einen verbotenen Underground-Touch hatte", wie Ralf Pierau von Kulturgymnastik erklärt.

Der Jurypreis des Vorjahres ging an Serkan. Er ist auch 2007 dabei. Der 20-jährige Schüler sieht das Handyfilmen als Mittel, sich künstlerisch auszudrücken und ungewöhnliche Blickwinkel auf die Wirklichkeit zu zeigen. So hat er im Vorjahr mit seinem Film "Fragen??? Antwort: 'Bla bla bla'" die Jury überzeugt. "Darin geht es um eine Lehrer-Schüler-Beziehung. Der Schüler kann seine Gedanken nicht ordnen und stellt seinem Lehrer viele Fragen, um den Sinn des Lebens herauszufinden." Dieses Mal will sich Serkan dem Thema Integration widmen.

Serkan und Yusuf filmen nicht einfach drauflos, sondern überlegen sich vorher einen Plot und seine Umsetzung. Bei vielen sei das jedoch anders: Beide beklagen, dass Handyfilmen durch "Happy Slapping" - gewaltsame Angriffe, die gefilmt und an Freunde verschickt werden - ein schlechtes Image bekommen hat. Für Serkan ist das "fröhliche Dreinschlagen" jedoch kein Massenphänomen, sondern ein von den Medien aufgepushtes Thema. Yusuf widerspricht: Er habe in der Tat die Erfahrung gemacht, dass solche Gewaltfilme gar nicht so selten gemacht werden. Claudia Hartmann von Kulturgymnastik bestätigt das: "Leider wird das 'Happy Slapping' weitaus stärker wahrgenommen als die Möglichkeit, schöne und interessante Filme zu machen." Dabei hat das Handyfilmfest längst bewiesen, wie es gehen kann: 2006 hat eine Schülerin ihre Krebsgeschichte verfilmt, es gab Rap-Parodien, Familiengeschichten - und kaum Gewalt.

Als Medium hat der Handyfilm spätestens seit den Livebildern von der Hinrichtung Saddam Husseins seinen Stellenwert. Für große Verbreitung der kleinen Filme sorgen auch die leichte Handhabung und die Chance, eigene Werke auf die Schnelle in Online-Videoportalen wie YouTube einzuspeisen. Jugendliche können ihre Lebenswelt also nach Lust und Laune filmisch festhalten. Kulturgymnastik will die Teilnehmer der Filmworkshops dazu animieren, ihr Handy als "kreatives Werkzeug" zu nutzen, wie die Projektleiterin und Webdesignerin Steffi Steden betont. Der Verein macht auch Handyfilmprojekte mit Schulklassen und will an den Schulen für einen positiven Umgang werben, wo Handys als piepsende Nervensägen verpönt sind.

Auch am heutigen Dienstag gibt es einen dreistündigen Workshop mit Eralp Uzun und Oktay Özdemir, der um 16 Uhr in der Mittelpunktbibliothek (Adalbertstraße 2) startet. Weitere Arbeitsgruppen finden bis zum 25. November statt. Das ist auch der Einsendeschluss für den Wettbewerb. Mitmachen kann jeder, der an einem Workshop teilgenommen hat. Der Hauptpreis ist ein Camcorder.

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