Aus dem taz-Magazin: Immer auf der Flucht

Es war nicht ihr Leben, aber es lässt sie nicht los: Die Kinder von Holocaust-Überlebenden müssen Kind und Beschützer zugleich sein. Für manche ein Erbe, das krank macht.

Weil er anderen helfen wollte, hat er gelernt, sich selbst zu helfen: Gert Levy, Sohn eines Holocaust-Überlebenden. Bild: Martin Magunia

Eigentlich, sagt Gert Levy, habe er seine Angstzustände "ganz gut im Griff". Das muss er auch, schließlich soll er Hilfe geben, nicht Hilfe brauchen. Der 54-jährige Kölner ist Gestalt- und Suchttherapeut. In seiner Praxis mitten in der quirligen Südstadt bietet er mehrsprachige interkulturelle Psychotherapie, Supervision und Coaching von einzelnen Patienten, Paaren und Gruppen an. Alles läuft gut. Ab und zu aber kommen sie, oft plötzlich, diese "Panikmomente", gepaart mit Schweißausbrüchen. "Ich drehe ab", beschreibt er, was dann passiert. Der Auslöser: Levy sucht etwas in den Akten. Dabei hat er sie sehr penibel geordnet, um solche subjektiven Notsituationen gar nicht erst aufkommen zu lassen. Seine Frau kennt diese Panik und entmündigt ihn dann, wie er es formuliert: "Ich suche für dich", sagt sie. Das hilft. Aber schrecklich sei es zugleich, meint Levy, werde doch so das eigene Unvermögen bestätigt. Das Beispiel ist harmlos, kaum mehr als eine Marotte - andere trifft es härter. Levy, Sohn eines Holocaust-Überlebenden und Widerstandskämpfers, profitiert davon, dass er eine Lehrtherapie gemacht hat. Dieses Ausleuchten der eigenen Psyche ist vorgeschrieben, bevor man selber Therapien anbietet. Sonst könnte Levy einer seiner Patienten sein: Der dünne Mann mit schon etwas grauen Haaren, der ein wenig an den BAP-Sänger Wolfgang Niedecken erinnert, hat sich unter anderem auf die Therapie der Nachkommen von Holocaust-Überlebenden spezialisiert. Ein Angehöriger der "Second Generation", wie die Fachliteratur diese Gruppe nennt, behandelt, so gesehen, seine eigene Generation.

Die psychischen Probleme der "Second Generation" sind nicht neu, seit etwa zwanzig Jahren werden sie, vor allem in den USA, von Fachleuten beschrieben und diskutiert. Sie gehen davon aus, dass zwischen fünf und zehn Prozent der Mitglieder der "Second Generation" therapiebedürftig sind. Im Sommer drängte diese meist eher schweigsame Gruppe massiv in die Öffentlichkeit, als etwa viertausend Nachkommen von Holocaustüberlebenden in Israel eine Sammelklage gegen Deutschland einreichten. Sie forderten die Bundesregierung auf, die Behandlungskosten für notwendige psychotherapeutische Sitzungen zu tragen, wozu vielen Mitgliedern dieser Gruppe das Geld fehlt.

Die komplette Geschichte von Philipp Gessler über Gert Levy und die Situation der "Zweiten Generation" erscheint am Samstag im Magazin der Tageszeitung. Am Kiosk.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.