EU-Parlament zensiert Ausstellung: Aufklärung oder Pornografie?

Die kenianische Frauen-Jury kürte das Bild zum Favoriten in einer Kampagne gegen Genitalverstümmelung. Der Quästor schmiss es aus der Ausstellung im Parlament - wegen Pornografie.

"Pornografie!", befand der Quästor und ließ das Bild aus der Ausstellung ausschließen. Bild: katja kamm

BRÜSSEL taz Das Plakat zeigt eine schwarz-weiße Pflanze vor braunem Hintergrund, auf deren Blättern drei kleine nackte Strichmädchen turnen. Die Blütenblätter sind bereits abgefallen, und so streckt sich der Fruchtboden, in dem die Samenkapseln heranreifen, dem Betrachter ungeschützt entgegen. In knalligem Pink hat die Hamburger Künstlerin Katja Kamm eine vulvaähnliche Struktur darauf gemalt und auf englisch darunter geschrieben: "Lasst uns unsere Weiblichkeit in Ehren halten. Keine weiblichen Genitalverstümmelungen mehr."

Von einer kenianischen Jury aus Lehrerinnen, ehemaligen Beschneiderinnen und Clan-Ältesten wurde das Bild als Favorit für eine Ausstellung ausgewählt, in der europäische Künstlerinnen sich für die körperliche Unversehrtheit junger Frauen einsetzen. Das 2006 für den europäischen Sacharov-Preis nominierte Fulda-Mosocho-Projekt organisierte die Kampagne. Der liberale Abgeordnete Alexander Alvaro holte 15 der Bilder für eine Woche nach Brüssel.

Und so sieht das Plakat in voller Pracht aus. Bild: katja kamm

Doch das von den Kenianerinnen besonders geschätzte Plakat bekommen die Abgeordneten und Besucher des Europaparlaments nicht zu sehen. Der für Ausstellungen zuständige Quästor des Hohen Hauses, der ungarische Sozialdemokrat Szabolcs Fazakas, empfand die Darstellung als pornographisch. Um nicht das ganze Projekt zu gefährden, ließ Alvaro das zensierte Bild entfernen. Als die für Kultur zuständige grüne Abgeordnete Helga Trüpel davon erfuhr, platzte ihr der Kragen. Denn Fazakas hatte kürzlich bereits eine ganze Ausstellung mit Kriegsbildern aus Tschetschenien abhängen lassen, weil sich Betrachter beschwert hatten, die Fotos seien zu grausam.

Die Geschäftsordnung des Europaparlaments sieht sechs Quästoren vor, die sich um den täglichen Betrieb wie Fahrdienst, Kantine, Kulturveranstaltungen und Spesenerstattungen kümmern. Die vom Präsidium des Parlaments beschlossenen Leitlinien räumen dem für Kultur zuständigen Quästor ausdrücklich das Recht ein, Zensur zu üben. "Sollte er der Ansicht sein, dass die ausgestellten Objekte eine Kontroverse provozieren könnten, muss er ihre Entfernung veranlassen", heißt es in den Leitlinien.

"Die Leitlinien müssen geändert werden", erklärt Helga Trüpel kategorisch. Was im Europaparlament gezeigt werde, dürfe nicht von der persönlichen Schamgrenze eines einzelnen Abgeordneten bestimmt sein. Die Kenianerinnen, die telefonisch von der Posse in Brüssel erfuhren, wollten ihren Ohren nicht trauen. Im für seine Prüderie bekannten Kenia könne das Plakat öffentlich gezeigt werden, im freizügigen Brüssel aber nicht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.