Die Basis der SPD II: Kaffeekuchen mit Hubertus

Im hessischen Niesetal scheint immer noch die Sonne auf die SPD. Ein Heimspiel für Generalsekretär Hubertus Heil.

Sonnenschein, Arbeitsplätze, eine Solarfabrik - in Niestetal ist die Welt noch in Ordnung. Zumindest für die SPD. Bild: dpa

Timon Gremmels wartet vor dem Niestetaler Rathaus. Er tritt von einem Bein auf das andere. Der Vorsitzende des SPD-Ortsvereins ist nervös. Denn das Wetter ist gut - und das ist schlecht für die Veranstaltung, die er gleich eröffnen wird: "Politische Kaffeetafel mit dem Generalsekretär der SPD Hubertus Heil". Das Rathaus ist ein typischer Mehrzweckbau aus den 70er-Jahren. Viel Beton, geschwärztes Glas, funktional, sachlich, ohne Anflug von Schönheit und irgendwie sozialdemokratisch.

7.000 Teilnehmer, darunter 1.900 Journalisten und 300 internationale Gäste - die Erwartungen an den Parteitag der SPD sind nicht nur zahlenmäßig hoch. Richtungsweisend soll er werden: beim Programm, bei den Projekten und Personen.

Einigen wird sich die Partei auf ein neues Grundsatzprogramm, das das "Berliner Programm" aus dem Jahr 1989 ablösen soll. Darin bekennt sich die SPD weiterhin zum "demokratischen Sozialismus" - ein Begriff, der nicht allen in der Partei passt. Ferner stehen die Arbeits- und Sozialpolitik, der Bundeswehreinsatz in Afghanistan, ein Verbot der NPD und die Bahnreform auf der Agenda.

Den größten Konfliktstoff dürfte die Privatisierung der Bahn bieten. Als Kompromiss zwischen Zweiflern und Befürwortern hat der Parteivorstand Volksaktien vorgeschlagen, die den Einfluss von Großinvestoren beschränken sollen.

Dass drei die künftigen stellvertretenden Parteivorsitzenden Andrea Nahles, Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück heißen werden, ist ziemlich sicher. Denn andere Bewerber gibt es nicht. Die Höhe der jeweiligen Ergebnisse könnte allerdings die Gefühlslage der Delegierten erkennen lassen - und damit Auskunft über die künftige Richtung der Partei geben.

Es ist ein strahlender Sonntagmittag in Niestetal, ein paar Kilometer von Kassel. Die 10.000-Einwohner-Gemeinde ist fest in sozialdemokratischer Hand. Seit Kriegsende regiert hier die SPD. Sogar bei der katastrophalen Landtagswahl des Jahres 2003 holte die SPD im Wahlkreis Kassel Land II das Direktmandat. Eins von zweien.

Niestetal hat, was anderswo fehlt. Genug Arbeitsplätze zum Beispiel. Die örtliche Firma SMA, die Bauteile für Solaranlagen produziert, boomt, vor allem seit die rot-grüne Bundesregierung die Förderung von regenerativen Energien beschloss. Es gibt eine funktionierende Gesamtschule, genug Kitaplätze, neuerdings bis nachmittags. Junge Familien ziehen hierhin, weil es im Grünen ist und doch nahe bei der Stadt. Migranten gibt es wenige, nur ein paar Russlanddeutsche. Auch Hartz-IV-Empfänger sind in Niestetal selten.

Im Schwimmbad, erzählt Timon Gremmels stolz im Saal des Rathauses, hat man kürzlich den maroden Kassenautomaten abgeschafft und dafür drei sozialversicherungspflichtige 20-Stunden-Jobs für Kassierinnen geschaffen. Damit auch Geringqualifizierte etwas von dem Reichtum haben. Das sollte zeigen, dass sich die SPD auch um die kümmert, die hinten runterfallen. "Das ist teurer, aber das ist es uns wert", so Gremmels.

Weil die Gewerbesteuer so reichhaltig sprudelt, plant die SPD, was sozialdemokratische Kommunalpolitiker schon immer gerne planten: ein neues Hallenschwimmbad. Niestetal ist ein sozialdemokratischer Traum von Wachstum und Gerechtigkeit. Vielleicht gibt es keinen Ort in der Republik, an dem weniger von der Krise der SPD zu spüren ist. Und keinen, an dem ein SPD-Generalsekretär weniger auf böse, harte Worte gefasst sein müsste.

Zur Veranstaltung kommen dann doch noch etwa 50 Genossen. Es gibt Kaffee und selbstgebackene Waffeln. Ein Familientreffen, allerdings mit wenig Enkeln. Zwei Jusos aus Kassel sind da. Ansonsten ist Hubertus Heil mit 34 Jahren einer der wenigen Jüngeren im Saal. Gremmels grüßt ganz besonders den örtlichen IG-Metall-Bevollmächtigten. Denn "es ist ja nicht mehr selbstverständlich, dass der IG-Metall-Mann Genosse in der richtigen Partei ist". Anderswo sind ganze Gewerkschaftsvorstände geschlossen zur Linkspartei übergetreten. In Niestetal gibt es die Linkspartei nicht.

Heil verteidigt die große Koalition, den "steinigenWeg der Reformpolitik". Er schaut bei der Rede nach rechts, dann ruckartig nach links, dann wieder nach rechts. Das wirkt wie antrainiert. Er beantwortet alle Fragen ordentlich und versucht jedem das Gefühl zu geben, dass er ihn ernst nimmt. Doch richtigen Beifall bekommt Heil nur, wenn er Roland Koch angreift.

280 SPD-Genossen gibt es in Niesetal. Fünf sind letztes Jahr gestorben, fünf sind eingetreten. Und leider auch zwei ausgetreten, so Gremmels zu Beginn der Veranstaltung. In der Rede von Hubertus Heil wird daraus eine Stunde später eine "positive Mitgliederentwicklung". Die SPD hat seit 1998 mehr als 200.000 Mitglieder verloren. Da werden zwei Mitglieder weniger schnell zu einem gefühltem Mitgliedergewinn.

Auch in Niestetal, wo die Sozialdemokraten regelmäßig an die 60 Prozent bekommen, ist die Basis nicht zufrieden. Man wünscht sich mehr Zurückhaltung der Bundeswehr in Afghanistan, eine weniger "kalte SPD", und bei der Rente mit 67 genügt das Stichwort, um beim grauhaarigen Publikum kollektives Kopfschütteln auszulösen.

Die SPD muss "Politik für Millionen machen, nicht für Millionäre". Das sagt die Landtagsabgeordnete Ulrike Gottschalck, die alle "unsere Ulli" nennen. Solche Sätze zünden bei der Basis, mehr als Heils Versuche, auf einfache Fragen lange, sachliche Antworten zu geben.

Die SPD in Nordhessen war immer eher konservativ, pragmatisch, erdverbunden. Flügelkämpfe gab es nicht, Weltverbesserungsentwürfe sah man skeptisch. In Niestetal ist die sozialdemokratische Welt noch in Ordnung. Und doch gibt auch hier einen heißen Wunsch: dass die SPD endlich wieder sozialdemokratisch wird.

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