Afghanistan-Sondergesandter Koenigs: "Ich bin noch optimistisch"

Tom Koenigs, scheidender UN-Sondergesandte für Afghanistan, über seinen bevorstehenden Rückzug, die Lage des Landes und die Halbherzigkeiten der Europäer.

Die Amerikaner engagieren sich, die Europäer reden viel und tun wenig, findet Tom Koenigs. Bild: dpa

taz: Herr Koenigs, Sie haben diese Woche bekannt gegeben, Ihr Amt als UN-Sonderbeauftragter für Afghanistan zum Jahresende aufzugeben und das Land zu verlassen. Warum?

Tom Koenigs: Ich bin die ganze Zeit ohne meine Familie hier gewesen, was schwierig war. Ich habe aber auch noch ein Familienleben. Deswegen wollte ich wieder zurück.

Sie haben zu ihrer Motivation für den Posten des UN-Sondergesandten einmal gesagt, Afghanistan brauche besonders die Verbindung aus Verwaltungsexperten und Menschenrechtspolitikern. Gilt das jetzt nicht mehr?

Diese Verbindung braucht Afghanistan umso mehr, nachdem am Wochenende erstmals seit drei Jahren wieder Todesurteile vollstreckt wurden.

Ist Ihr Abschied auch ein Protest gegen den Todesstrafenvollzug?

Nein, ich habe unserem Generalsekretär bereits vor drei Wochen meine Entscheidung mitgeteilt. Aber ich verstehe die Haltung der Karsai-Regierung nicht. Die Todesstrafe hat im 21. Jahrhundert nichts mehr zu suchen. Nur sehr traditionelle Kräfte sowohl in den USA als auch in Afghanistan sehen das anders. Die afghanischen Traditionalisten haben wohl entsprechenden Druck gemacht.

Hat Ihre Entscheidung auch mit Plänen zu tun, für Afghanistan eine Art internationalen Superkoordinator wie in Bosnien zu installieren?

Über diese Frage ist noch nicht entschieden, und mein Abschied hat nichts damit zu tun. Es gibt auch in Darfur mehrere Sondergesandte, die gut zusammenarbeiten.

Sie befürworten das also?

Nicht unbedingt. Das hat nur Sinn, wenn es ein sehr spezifisches Mandat gibt. Dafür sehe ich keine Erfolgschancen. Natürlich muss man sich stärker auch um die umliegenden Staaten kümmern und darum, dass die Europäer mehr für Afghanistan tun. Auch muss die zivile und die militärische Strategie besser zwischen New York, Brüssel und Washington abgestimmt werden. Dazu kann zurzeit auch ein "Superman" wenig beitragen.

Die Lage in Afghanistan scheint immer aussichtsloser. Es gibt neue Gewaltrekorde, neue Rekorde im Drogenanbau, der Wiederaufbau verläuft schleppend. Ist Ihre Entscheidung auch eine Kapitulation vor dieser Situation?

Nein. Die Anforderungen sind hoch, aber sie sind zu bewältigen. Ich bin immer noch optimistisch. Doch es sind immer wieder die Amerikaner, die sich überproportional engagieren. Wenn die Europäer sagen: "Wir wollen Afghanistan stärker in unserem Sinne beeinflussen" und sich dann nicht finanziell und militärisch stärker beteiligen, dann sind das hohle Worte.

Wo zeigt sich diese Lücke zwischen Lippenbekenntnis und Realität am deutlichsten?

Bei der Polizeiausbildung. Alle sind sich einig, dass bei Ausbildung und Ausrüstung viel mehr getan werden muss. Die Europäer haben jetzt zu den 40 deutschen Ausbildern weitere 120 versprochen. Die Amerikaner haben 700 Mentoren. Gebraucht werden aber 2.000 weitere.

Es ist aber doch nicht hilfreich, Schießkurse für Analphabeten zu machen, wie es die Amerikaner tun?

Ich verkenne die Schwierigkeiten nicht, aber es ist auch eine Frage der Quantität. In diesem Jahr sind im Süden 1.000 Polizisten umgekommen, und zwar auch, weil sie schlecht ausgebildet und ausgestattet waren. Wenn Europa - zu Recht - beansprucht, dem Zivilen müsse mehr Augenmerk zukommen, muss es sich einfach mehr engagieren. Nach Kosovo hat man bei einem Zehntel der Bevölkerung und Fläche 4.800 internationale Polizisten geschickt.

Warum scheut man diesen Aufwand in Afghanistan?

Vielleicht hat man das Versprechen, die junge Demokratie zu schützen, nur halbherzig gegeben. Außerdem hat niemand geglaubt, dass die Taliban sich derart regenerieren können. Es wurde zu lange auf Kabul und den Norden geblickt. Man hätte - auch mit den Wahlen - in Dörfern und Distrikten beginnen müssen. Das hätte Legitimation in Dörfern geschaffen, wo jetzt die Taliban das Sagen haben.

Sie haben sich wiederholt für Gespräche mit den Taliban ausgesprochen. Wollen die Taliban überhaupt mit der afghanischen Regierung verhandeln?

Wer Frieden will, muss das Gespräch dem Waffengang vorziehen. Die Taliban sind keine homogene Gruppe, es gibt immer gesprächsbereite Teile. Karsai muss diese Verhandlungen weiter anbieten, auch wenn sie nicht gleich morgen stattfinden.

Am Freitag steht die Verlängerung des Mandats für Isaf und die Tornados im Bundestag an. Kritiker sagen, dem sei nicht zuzustimmen, weil die Tornados auch für OEF eingesetzt werden. Ist diese Argumentation nachvollziehbar?

Aus afghanischer Sicht überhaupt nicht. Isaf und OEF brauchen eine gute Aufklärung. Und so zu tun, als wären wir nicht dabei, hieße, die Augen vor der Realität zu verschließen.

Den deutschen Soldaten ist vorgeworfen worden, sich in die Kasernen zurückzuziehen und zu wenig gegen Drogenkriminalität zu tun.

Die Polizei muss so aktiv unterstützt werden, wie es irgend geht, auch wenn es gefährlich wird. Das gibt das Mandat für die Bundeswehr her. Zu sagen, an die Drogenfelder und -labore gehen wir nicht ran, halte ich für falsch.

INTERVIEW: ANETT KELLER

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