über-lebens-welten 2.0

Eine Ausstellung zeigt den Wandel der Lebensverhältnisse in Nicaragua seit dem Machtwechsel. Die Bilanz fällt mäßig aus

über-lebens-welten 2.0

Wo? Ausstellungsgalerie Olga Benario, Richardstraße 104 (nahe U-Bahnhof Karl-Marx-Straße)

Wann? Bis zum 14. Februar (jeden Donnerstag ab 19 Uhr)

Veranstaltungen: 31. 1. – Filmvorführung „Jetzt habe ich eine Stimme“ mit anschließendem Kurzvortrag und Diskussion; 7. 2. – Deutsche Solidaritätsarbeit mit Nicaragua, 14. 2. – Drogenhandel in Nicaragua

Im Netz: galerie-olga-benario.de

Viva Sandino! Seit 2006 regiert in Nicaragua wieder die sozialistische Partei Sandinistische Nationale Befreiungsfront (FSLN) mit ihrem Präsidenten Daniel Ortega. Die Partei beendete in den späten 70er Jahren in einem Bürgerkrieg die Diktatur des Somoza-Clans und galt lange Zeit als Symbol der westdeutschen Linken. Nach ihrem erfolgreichen Aufstand war die Partei schon einmal sechs Jahre lang an der Macht, bis sie bei den ersten freien Wahlen 1990 abgewählt wurde. Nach einer längeren Selbstfindungsphase ist Ortega nun mit neuem Politikstil zurück, der sich im Spannungsfeld zwischen Sozialprogrammen und neoliberaler Wirtschaftspolitik bewegt. In der Wanderausstellung „über-lebens-welten 2.0“, die seit Anfang Januar in der Galerie Olga Benario in Neukölln zu sehen ist, wird derzeit eine erste Bilanz der bisherigen Amtszeit gezogen.

Ins Leben gerufen wurde die Ausstellung vom Informationsbüro Nicaragua aus Wuppertal. Das Projekt beleuchtet Veränderungen der prekären Lebensverhältnisse nicaraguanischer Frauen seit 2006. Nach Berlin geholt wurde die Ausstellung von der Monatszeitung Lateinamerika Nachrichten (LN), die begleitend zu der Ausstellung auch eine Veranstaltungsreihe vorbereitet hat: Während es dort heute Abend ab 19.30 Uhr um das Thema Feminismus geht, wird das Schwerpunktthema der Veranstaltung vom 7. Februar die deutsche Solidaritätsarbeit mit Nicaragua sein. Am 14. Februar wiederum gibt es einen Vortrag zum Drogenhandel in Nicaragua. Alle drei Veranstaltungen finden in der Galerie Olga Benario statt.

Die Ausstellung entstand zwischen 2009 und 2012. In dem Zeitraum reiste das Informationsbüro nach Nicaragua, um verschiedenen Frauen über ihre Meinung zu Ortega zu befragen. Die Statements der Frauen finden sich zum einen auf den Wandtafeln der Ausstellung wieder. Zum anderen gibt es begleitend zu der Ausstellung eine DVD, in der die Interviewten ausführlicher vorgestellt werden. Wie der Name „über-lebens-welten 2.0“ verrät, schließt die Ausstellung an eine andere an. Mit „ÜberLebensWelten“ hatte das Informationsbüro dieselben Frauen bereits einmal porträtiert. Damals ging es jedoch primär um den Lebensalltag der Frauen und weniger um regierungspolitische Aspekte. Entsprechend war auch die Fragestellung eine andere: Wie überleben Menschen in unsicheren Lebensverhältnissen in einem der ärmsten Länder Lateinamerikas? Und was können wir von ihnen lernen? „Es ging uns um Selbstreflexion“, sagt Sonja vom Infobüro. Sie hat beide Ausstellungen konzipiert.

Zu den Interviewten gehört auch die 67-jährige Straßenhändlerin Nurinda Cano. Sie ist alleinstehend und hat 13 Kinder. Mit der Regierung Ortegas zeigt sie sich zufrieden. Besonders freut sie sich über das kostenlose Bildungssystem. Ihre Kinder hätten davon profitiert und könnten sie jetzt versorgen, berichtet Cano. Dennoch wünscht sie sich, dass in Zukunft auch Straßenkinder in die Schule gehen können. Ganz anders sieht es Concepción Acevedo. „Mit der neuen Regierung hat sich kaum was verändert“, sagt die 61-jährige Landwirtin. Vor allem in der Gesundheitsversorgung gebe es wenig Verbesserung. Zwar seien Untersuchungen jetzt kostenlos, aber dafür sei es schwer, an sie heranzukommen. Auch fehle es oft an Medizin. „Es war spannend, die Frauen noch einmal zu treffen. Die Situation hat sich für viele trotz Ortegas Sozialpolitik nicht verbessert. Ortega gibt Almosen statt Mitbestimmung und Umverteilung“, sagt Sonja.

Die Kommentare der Frauen werden von NGO-Beiträgen begleitet, die sich kritisch mit Ortegas Regierungspolitik auseinandersetzen und Bezug auf die Finanzkrise nehmen. So erfährt man aus einem der Texte, dass Nicaragua seine Textilprodukte und zentrale Güter der Agrarindustrie nicht mehr verkaufen konnte, nachdem in den USA und Europa die Absatzmärkte eingebrochen waren. Die Folge war ein Verlust vieler Arbeitsplätze in der Exportindustrie. Da in den Textilfabriken überwiegend Frauen angestellt waren, sind sie eher betroffen als Männer. Ihre wegen schlechter Bezahlung ohnehin schon schwierige Lebenssituation verschärfte sich noch mehr.

Ebenjene Eindrücke sind es, welche die Ausstellung nach Meinung der OrganisatorInnen so lohnenswert machen. „Hierzulande sonst eher weniger bekannte Probleme werden auf nüchterne Weise dargestellt“, sagt David von den Lateinamerika Nachrichten. Und sein Kollege Max fügt hinzu: „Es wird einem bewusst gemacht, welche Konsequenzen die eigene Lebensweise für andere Länder hat.“ Entsprechend richtet sich die Ausstellung nicht nur an Lateinamerika-Interessierte, sondern auch an alle anderen.

LUKAS DUBRO