Debatte: Der Blockade-Präsident

Im Kongress haben die Demokraten die Mehrheit - zu sagen haben sie nichts. Denn die Republikaner legen ihre Gegner meisterhaft lahm. So herrscht in Washington Stillstand.

Im Westen nichts Neues: Die Minderheitsregierung von Präsident George W. Bush sitzt fest im Sattel und hält stramm ihren rechten Kurs. Die Welt muss sich noch 16 lange Monate lang jede Hoffnung auf jede Veränderung abschminken. Obwohl vor gerade mal zehn Monaten die politische Lage in Amerika und damit die Aussichten in der Weltpolitik ganz anders aussahen: Bei den Zwischenwahlen im November 2006 gab eine keineswegs nur Irakkriegs-müde, sondern von der Bush-Regierung auch innenpolitisch ausgelaugte Bevölkerung den Demokraten in beiden Häusern des Kongresses eine Mehrheit. Damit, hofften sehr viele Amerikaner wie große Teile der Welt, würde sich endlich etwas ändern in Washington: Kurswechsel im Irak wie im weltweiten Kampf gegen den Terror, Signale in der internationalen Umweltpolitik, Bewegung bei den innenpolitischen Streitfragen.

Diese Hoffnungen haben sich vollends zerschlagen. In diesen Wochen erleben die Demokraten in Washington, und damit auch alle ähnlich gesinnten Europäer, eine Niederlage nach der anderen: Ein Grund dafür ist, dass die Republikaner eine Stärke des politischen Systems der USA, nämlich den Minderheitenschutz, in eine Schwächung der Mehrheit in Washington pervertieren.

Filibuster heißt das Instrument, mit dem die Republikaner die Demokraten derzeit an allen Fronten ganz legal foltern. Damit kann die Minderheit die Gesetzesvorlagen der Mehrheit im Parlament sprichwörtlich totreden: 24 Stunden und 18 Minuten ist der Filibuster-Rekord, der konservative Senator Strom Thurmond stellte ihn 1957 auf und schob damit die Bürgerrechtsgesetze auf eine sehr lange Bank. Denn die einhundert Senatoren haben ein unbeschränktes Rederecht. Solange ein einziger von ihnen das Wort ergreifen möchte, und zwar zu jedem beliebigen, auch völlig sachfremden Thema, darf nicht über einen Gesetzentwurf abgestimmt werden. Nur eine Dreifünftelmehrheit der Senatoren kann jene zum Schweigen bringen, die da schon tagelang die Unabhängigkeitserklärung zitierten, unterbrochen von einer eigentlich verbotenen Pinkelpause die Abschiedsrede George Washingtons deklamierten oder einfach aus Telefonbüchern vorlasen, um ein Gesetz zu blockieren.

Heute reicht den Republikanern schon die pure Drohung mit einem Filibuster, um die Demokraten in die Resignation zu treiben. Und Blockade-Präsident Bush weiter und immer weiter wurschteln zu lassen.

Beispiel Irak: Um doch noch einen baldigen signifikanten Rückzug der 168.000 US-Truppen aus dem ungewinnbaren Bürgerkrieg durchzusetzen, haben die Demokraten die sehr populäre Gesetzesvorlage produziert, dass ihre Soldaten nach jedem Auslandseinsatz eine genauso lange Zeit zu Hause stationiert sein sollen. Eine Herzensangelegenheit für die überanstrengte Truppe, die auch einige Republikaner ins Wanken brachte. Aber dann nahm das Pentagon die abtrünnigen Volksvertreter der Minderheit an die Kandare, dass dies genau darauf hinauslaufen würde, worauf es hinauslaufen sollte, nämlich auf eine Neuausrichtung des militärischen Kampfes gegen den Terror, was der politische Oberbefehlshaber der Truppe kategorisch ablehnt. Am Ende fehlten wieder vier Stimmen, um die Filibuster-Hürde von 60 Stimmen zu überwinden. Und die Demokraten fühlten sich endgültig zum Stillhalten verdammt.

Beispiel Umweltpolitik: Im Kongress kursieren etliche Gesetzesvorlagen mit klaren Grenzwerten zur Eindämmung der Treibhausgase, aber der texanische Ölpräsident hat klargemacht, dass er jede internationale Verbindlichkeit ablehnt. Und in heimischen Wahlkreisen lieber 151 neue Kohlekraftwerke alten Typs fördert.

Beispiel Sozialpolitik: Mit großen Mühen haben die Demokraten eine überparteiliche Koalition für den Ausbau einer staatlich bezuschussten Krankenkasse für die Millionen unversicherter Kinder im reichsten Land der Welt geschaffen - aber es ist zweifelhaft, ob diese Mehrheit groß genug ist, das angekündigte Veto des Industriekapitäns Bush zu überwinden, der darin eine "unerträgliche" Ausweitung der Staatsaufgaben sieht.

Das präsidiale Vetorecht ist die nächste Hürde, wenn ein Gesetz eine parlamentarische Mehrheit hat. Für seine Überwindung braucht es eine so qualifizierte Mehrheit, dass die Demokraten nicht mal davon träumen, sie unter den republikanischen Lemmingen zu finden.

Aber es bleibt ja noch eine einfache Mehrheitsentscheidung: den Geldhahn zuzudrehen. So hat die Regierung dieser Tage weitere 50 Milliarden Dollar für die Kriege in Irak und Afghanistan beantragt. Damit würden die Kriegskosten allein für 2008 auf fast 200 Milliarden US-Dollar steigen. Darauf sprangen die Demokraten erneut wie ein Tiger - und werden wieder mal als Bettvorleger landen. Denn alles, was diesem Präsidenten an politischer Strategie fehlt, hat das Weiße Haus in seiner PR-Strategie perfektioniert. Der Nachschlag zum Nachschlag des Nachschlags wird vor allem mit den Kosten eines besseren Schutzes für die Truppen begründet - durch bombensichere Humvees, die schon lange vorher hätten angeschafft werden können und müssen, um zahlreiche Soldatenleben zu retten. Die Demokraten haben eine Verdoppelung der geschützten Fahrzeuge selbst beantragt. Sie werden sich auch nicht gegen die anderen Milliarden für anderes sperren, denn jeder Anschein, der kämpfenden Truppe in den Rücken zu fallen, gilt als politischer Selbstmord; obwohl das in Vietnam nicht so war und der Irakkrieg den Amerikanern so stinkt, dass es einen Versuch wert wäre. Aber das trauen sich die Demokraten nicht, insbesondere im längst entbrannten Präsidentschaftswahlkampf 2008.

Bush kann das spiegelglatte Parkett der amerikanischen Stimmungsdemokratie, die er wie kaum ein anderer einzuseifen versteht, egal sein, er darf nicht wieder antreten. Aber seinen Parteigängern und ambitionierten Nachfolgern können die verheerenden Umfragewerte für die Politik ihres Präsidenten nicht egal sein - so wird der eine oder andere vielleicht doch noch aus der republikanischen Vasallentreue ausscheren. Darauf hoffen die Demokraten. Dafür winden und biegen sie sich, teilweise bis zur Unkenntlichkeit, um mit Hilfe abtrünniger Konservativer ihre Vorstellungen über die Filibuster-Hürde hinweg Gesetz werden zu lassen - aber tatsächlich verdammen sie sich selbst zum Stillschweigen. Weil sie die Republikaner bisher nicht ein einziges Mal beim Wort genommen haben.

"Lasst sie doch reden! Wir haben nichts nötiger als eine ausführliche Debatte über all diese brennenden Themen", bettelte jüngst ein Leitartikel der New York Times. Dieser Forderung kann man sich nur anschließen. Oder eben noch 16 lange Monate lang zusehen, wie Bush all die verfahrenen Karren vollends in den Dreck zieht. Und im Januar 2009 der oder die neue PräsidentIn erst all die Scherbenhaufen wegräumen muss, bevor sie vielleicht, vielleicht im Westen endlich was Neues in Gang setzen kann.

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