Die Raucherecke: Die Süchtigen vom Sackbahnhof

Seit 25 Tagen gilt das Rauchverbot in allen Zügen der Deutschen Bahn, auch in ICEs. Eine erste Bilanz: Lässt sich das aushalten? Und wenn ja, wie?

Seit 1. September ist der moralische Sieg der Deutschen Bahn mit der eigenen Nase zu überprüfen: kein Zigarettenrauch nirgendwo. Alle Züge rauchfrei. Pädagogisch betrachtet, sieht die Lage allerdings anders aus: Wer den Fight gewinnt, Raucher oder nichtrauchende Raucherschützer, ist längst noch nicht entschieden. Denn: Selbstverständlich macht nicht mal die Not so erfinderisch wie die Sucht.

Die Frage, ob man nun überhaupt noch Bahn fahren soll, stellt sich Rauchern allen Vorurteilen zum Trotz keineswegs. Auch Raucher sind gute Menschen und fahren nicht lieber Auto und fliegen nicht noch lieber mit dem Flieger. Für Raucher stellt sich eine andere Frage: Wie lässt sich das Rauchverbot ertragen? Auf einer Langstrecke, nehmen wir München-Hamburg, ICE, um die acht Stunden Fahrzeit (ohne Nikotinpflaster).

Und so gehts:

- Zum wichtigsten Utensil der Reise wird das Faltblatt "Ihr Reiseplan" mit allen minutengenauen Aufenthaltsangaben in Bahnhöfen.

- Erste Erkenntnis: Ein Zigarettenzug bei einem Zweiminutenstopp, sagen wir in Jena Paradies, erheitert nur die restlichen Reisenden im Abteil.

- Im logischen Anschluss konzentrieren sich Raucher auf das meist unterschätzte Objekt der Bahn: den Sackbahnhof. Sagen wir in Leipzig. Nicht nur der Zug, auch das Zugpersonal wechselt die Richtung, 10 Minuten Aufenthalte garantiert. Am Bahnsteig versammelt sich naturgemäß die längste Raucherecke der Welt, eine Schlange von Menschen, die mit erhobenem Haupt so lange "frische Luft schnappen", bis sich doch ein(e) Bahnbeschäftigte(r) zu dem höflichen Satz hinreißen lässt: "Das ist ein rauchfreier Bahnhof, dort drüben gibt es zwei große Aschenbecher, die wir extra für Sie reserviert haben." Freundliches Nicken. Man versteht sich in der hochzivilisierten Welt. Und schnappt weiter frische Luft, ohne großen reservierten Aschenbecher.

- In der weiteren Anschlusslogik fühlen sich Raucher in jene Zeit zurückversetzt, als Subversivsein noch darin bestand, dass eine Zigarette auf dem Schulgelände geraucht wurde, bis der Lehrer oder der Verweis kam. Mit keinem großen Unterschied: Beide Regelverstöße muss man sich leisten können, je nach Privilegienstand.

- Bleibt wie bei jedem Fight der obligatorische Verlierer: der Mitarbeiter des Bahn-Bordbistros, der, verschämt hinter einen schmalen Pfeiler gekauert, Zigaretten raucht, in der Hoffnung, nicht von den Kollegen gesehen zu werden. Schließlich weiß keiner, wann die Bahn eine rauchfreie Belegschaft einführt.

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