Kommentar SPD-Grundsatzprogramm: Beruhigungsmittel für die Basis

Das neue Grundsatzprogramm der SPD beruhigt höchstens die Gemüter an der Basis. Ehrlicher wäre es aber, die Partei würde ihre Folklore endlich entsorgen.

Bedeutet der Entwurf des neuen Grundsatzprogramms der SPD eine Linkswende? Eine Rückkehr zu sozialdemokratischen Traditionen? Wohl kaum. Programme sind schließlich nicht dazu da, einer Partei neue Ziele und Werte vorzugeben. Als die SPD 1959 in Godesberg alle umstürzlerischen Ambitionen aufgab, holte sie nur in aller Form nach, was ohnehin sozialdemokratische Politik geworden war. Und als sich die Grünen im Jahr 2002 von ihrer Forderung nach dem Austritt Deutschlands aus der Nato trennten, hatten sie ihren ersten Krieg bereits hinter sich.

Insofern wäre es überfällig und überdies ehrlich, wenn die SPD den "demokratischen Sozialismus" und manch andere sozialpolitische Folklore auf jenen Kehrichthaufen ihrer Geschichte werfen würde, auf dem sie Marx, Bebel und Ollenhauer entsorgt hat. Wer, vielleicht von paar Marktstalinisten in der FDP und einer Handvoll tapferen Jusos abgesehen, glaubt allen Ernstes, dass diese Partei irgendetwas mit Sozialismus am Hut hat? Oder nur zu dem Wohlfahrtsstaat zurückmöchte, zu dessen Demontage sie mit den Schröderschen Reformen maßgeblich beigetragen hat?

Doch Parteiprogrammen kommt eine wichtigere Funktion zu. Sie müssen den Wählern und erst recht den Mitgliedern verständlich machen, warum sie diese und nicht jene Partei unterstützen sollen. Sie sind vor allem für das Gemüt jener Menschen, die als "Basis" bezeichnet werden - also für all die fleißigen, bärtigen Männer und wackeren, hennatragenden Frauen in den Ortsvereinen, die ihre Mitbürger davon überzeugen müssen, die SPD zu wählen. Wer die Leute, zumal die eigenen, dazu bringen will, die vergangenen und die kommenden Reformen und Sachzwänge zu akzeptieren, muss ihnen dazu etwas Erbauliches reichen, das Programm eben.

Allerdings: Der sozialdemokratische Kanzler Gerhard Schröder setzte seine Agenda 2010 durch, obwohl schon im gültigen Programm von "demokratischem Sozialismus" die Rede war. Es spricht nichts dafür, dass dieses Formel künftig eine größere Rolle spielen wird. Spätestens seit Schröder wissen wir: Das Parteiprogramm ist das eine, die Agenda das andere.

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Von Juli 2007 bis April 2015 bei der taz. Autor und Besonderer Redakteur für Aufgaben (Sonderprojekte, Seite Eins u.a.). Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik 2011. „Journalist des Jahres“ (Sonderpreis) 2014 mit „Hate Poetry“. Autor des Buches „Taksim ist überall“ (Edition Nautilus, 2014). Wechselte danach zur Tageszeitung Die Welt.

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