Österreichische Schulreform: Schulversuche im Alpenland

Seit dem Regierungswechsel in Österreich hat die Gesamtschule wieder Chancen. Doch einige ÖVP-Mitglieder und Lehrer kämpfen gegen die "Neue Mittelschule".

In Österreich ist ein Kampf um die beste Bildungsstrategie ausgebrochen. Leistungstests für Dreijährige, Aufnahmeprüfungen ins Gymnasium und strengere Selektion mit zehn Jahren - dies sind nur einige der skurrilen Ideen zur Bildungspolitik, die Politiker aus der zweiten und dritten Reihe der konservativen ÖVP in den letzten Wochen von sich gaben. Denn die Bildungs- oder Schulreform hat sich als eines der wichtigsten Vorhaben der ÖVP-SPÖ-Regierung herauskristallisiert, die seit Januar amtiert - und als einer der größten Streitpunkte.

Seit mit Claudia Schmied Anfang des Jahres eine SPÖ-Frau Bildungsministerin wurde, bewegt sich nämlich der Koloss Bildung in Österreich wieder ein bisschen. Denn die Sozialdemokraten setzen sich schon lange für eine Gesamtschule ein. Der Versuch, jetzt wieder einen Schritt in diese Richtung zu gehen, heißt "Neue Mittelschule". Dies soll eine gemeinsame Schule für alle Zehn- bis Vierzehnjährigen sein. "Die neue Mittelschule ist leistungsorientiert und zielt darauf ab, die Begabungen der SchülerInnen bestmöglich zu entwickeln. Sie ist ein Ort, an dem sich die Kreativität aller Kinder entfalten kann", erklärt Ministerin Schmied. Nach der achten oder neunten Klasse können dann diejenigen abgehen, die eine Lehre machen wollen.

Bisher ist es in Österreich ähnlich wie in Deutschland: Die Entscheidung für oder gegen eine Bildungskarriere der einzelnen Schülerinnen und Schüler fällt im Alter von neun bis zehn Jahren, wenn die Noten für das Volksschulzeugnis verteilt werden. Die einen dürfen auf die Allgemeine Höhere Schule (AHS), die zur Matura, dem österreichischen Abitur, führt. Die anderen müssen auf die Hauptschule.

Die Pisa-Studie, die Expertise von internationalen Bildungsforschern sowie die zunehmend schwachen Leistungen der Schulabgänger - heute sind zwei von zehn Fünfzehnjährigen nicht in der Lage, sinnerfassend zu lesen - hatten zwar schon vor Jahren eine Debatte ausgelöst. Die kam dank ÖVP-Bildungsministerin Elisabeth Gehrer aber lange nicht vom Fleck. Zehn Jahre lang hatte sie jeden Reformvorschlag blockiert. Unter ihrer Ägide wurden sogar Schulstunden und Lehrerposten gestrichen. Als "Schülerentlastungsoffensive" versuchte sie das Einsparen von Sportstunden, Musikunterricht und Förderlehrern zu verkaufen. Mit den voraussehbaren Folgen: Die Belastung von Lehrern und Schülern stieg und die Schulerfolge sanken. Eine von Gehrer eingesetzte Expertenkommission wurde kaltgestellt, weil sie nicht das erwünschte Ergebnis gebracht hatte.

Trotz SPÖ-Bildungsministerin ist jedoch der Weg für die Neue Mittelschule noch lange nicht frei. Die ÖVP baute gleich im Koalitionsabkommen ihre Bremsklötze ein. Nur in Schulversuchen dürfen die neuen Modelle nun erprobt werden. In vier Regionen können Schulen ab Herbst 2008 an den Versuchen teilnehmen: In Wien, Kärnten, der Steiermark und Oberösterreich dürfen Schüler dann auch nach der vierten Klasse zusammen lernen. Damit die Experimente nicht vorzeitig von den meist konservativen Eltern- und Lehrervertretungen abgebrochen werden können, will Claudia Schmied sie gesetzlich absichern. Damit beißt sie bei der ÖVP aber auf Granit. ÖVP-Bildungssprecher Fritz Neugebauer warnte vor einer "Zwangsverordnung der Gesamtschule". Schulversuche "über die Köpfe der Betroffenen hinweg" werde es mit der ÖVP nicht geben.

Die Christdemokraten verteufeln die Gesamtschule seit jeher als schädlichen "Einheitsbrei", der eine Nivellierung nach unten bewirke. Erfolgreiche Schulversuche und Erfahrungen aus anderen Ländern, die genau das Gegenteil beweisen, werden einfach ignoriert. Dabei sehen mittlerweile fast alle Bildungsstrategen in der frühen Trennung in künftige Akademiker und Handwerker das zentrale Problem des österreichischen Schulsystems. Um den Koalitionspartner nicht zu verschrecken, strich die SPÖ das Wort Gesamtschule aus ihrem Vokabular. Eine neue Expertenkommission soll nun Vorschläge für eine umfassende Schulreform vorlegen. Deren Vorsitzender ist mit Bernd Schilcher ausgerechnet ein ÖVP-Politiker - der wesentlich fortschrittlichere Positionen vertritt als seine Parteispitze in Wien.

Diese setzte mit dem 62-jährigen Gewerkschafter Fritz Neugebauer einen zuverlässigen Interessenvertreter der AHS-Lehrerschaft als neuen Bildungssprecher der ÖVP ein. Die AHS-Lehrerschaft fürchtet bei einer Zusammenlegung von Höheren Schulen und Hauptschulen zur Neuen Mittelschule um Jobs und Status. Daher wendet sie sich gegen die Reformen. Der bisherige Erfolg von Claudia Schmieds Bemühungen ist denn auch gering: Bisher konnte sie lediglich durchsetzen, dass für Volksschulklassen eine Obergrenze von 25 Schülerinnen und Schülern verordnet wurde - und dies auch nur "nach Möglichkeit". Wie sich zu Schulbeginn letzte Woche zeigte, wird die erlaubte Überziehung um 20 Prozent in vielen Schulen ausgeschöpft. Denn nicht überall gibt es genügend Klassenräume, um die Neuerung durchzusetzen.

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