„Störungsfreies Gedenken“

Vortrag KZ-Gedenkstättenleiter Jörg Skriebeleit analysiert die aktuelle NS-Erinnerungskultur

■ 44, ist seit 1999 wissenschaftlicher Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg

taz: Herr Skriebeleit, Sie setzen sich kritisch mit der „Einvernehmlichkeit“ auseinander, die heute in Bezug auf die Erinnerung und Aufarbeitung der NS-Zeit herrsche. Aber ist das nicht ein großer Fortschritt? Die Staatsanwälte der Ermittlungsstelle für NS-Verbrechen fanden lange keine Wohnungen in Ludwigsburg ...

Jörg Skriebeleit: In der Tat musste die Einvernehmlichkeit im Umgang mit der NS-Zeit hart erkämpft werden, das war eine politische Leistung. Heute müssen wir uns dafür mit einem störungsfreien Gedenken ohne praktische Relevanz auseinandersetzen. Wie kann man ein Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma einweihen und zwei Tage später den Zuzugsstopp für Roma aus dem Kosovo verfügen?

Sie zitieren gern Michael Bodemanns polemischen Begriff vom „Gedächtnistheater“– dem aber, wenn man so will, die Hauptdarsteller weg sterben.

Die „verschwindenden Zeitzeugen“ sind auch so ein wieder kehrender Topos in Gedenkreden. Dabei sind auf Grund ihrer medialen Bannung präsenter denn je – was mit einer entsprechenden „Abnutzung“ einher geht. In Beiträgen wie von Guido Knopp im ZDF werden sie als biographische Deko eingesetzt.

Wie macht man das besser?

Bei aller Empathie muss man die Zeitzeugen auch einordnen. Das sind autonome Persönlichkeiten, die ein eigenes pädagogisches oder politisches Programm haben. Als wir einen tschechischen Überlebenden, mit dem wir schon viele Projekte in deutscher Sprache gemacht hatten, auf tschechisch interviewten, erzählte der auf einmal ganz andere Geschichten. Etwa wollte er nicht auf Deutsch davon berichten, wie die Gestapo in Prag seine Mutter misshandelte – weil sich die deutschen Zuhörer nicht schuldig fühlen sollten.

Verändern sich Zeitzeugen-Berichte?

Ich führe seit den 80er Jahren Interviews und beobachte, wie sich die Geschichten im Lauf der Zeit wandeln, in gewisser Weise auch an Schärfe verlieren.

Gibt es es bei so traumatischen Erlebnissen im Rückblick tatsächlich eine Art Altersmilde?

Zum Teil durchaus. Viele nehmen mittlerweile die Schärfe des Konfliktes aus ihren Erzählungen. Interview: Henning Bleyl

„Nicht schon wieder ,Nie wieder!‘“: 16 Uhr, Uni-Hörsaal GW 1