Klimaschutz-Aktivist: "Wir müssen Klima-Apartheid beenden"

Aubrey Meyer erfand die Klimaschutz-Kopfpauschale, die Angela Merkel jetzt propagiert. Jeder Mensch hat das gleiche Recht an der Atmosphäre, meint der Aktivist.

Aubrey Meyer (60) ist Gründer des britischen Global Commons Institute. Seit 1991 kämpft er für den Pro-Kopf-Ansatz im Klimaschutz. Bild: privat

taz: Herr Meyer, seit mehr als 15 Jahren kämpfen Sie sozusagen für eine Kopfpauschale im Klimaschutz: Für jeden Menschen auf der Erde soll es das gleiche CO2-Limit geben. Jetzt hat Kanzlerin Angela Merkel die Idee, die Sie als Erster entwickelt haben, in die internationale Debatte eingebracht. Freuen Sie sich?

CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel hat auf ihrer Reise nach Japan diese Woche eine neue Klima-Initiative gestartet: Der Treibhausgasausstoß pro Kopf soll demnach maßgeblich für künftige Richtwerte im Kampf gegen den Klimawandel sein. Derzeit stößt Deutschland pro Einwohner rund 11 Tonnen Kohlendioxid im Jahr aus. Die Emissionen der Vereinigten Staaten liegen bei knapp 20 Tonnen pro Kopf und Jahr. Jeder Einwohner im Emirat Katar kommt im Schnitt auf 44,5 Tonnen jährlich. Ein Chinese stößt derzeit hingegen nur 3,5 Tonnen pro Jahr aus, ein Inder sogar nur 1,1. Weltweit werden pro Kopf 4,2 Tonnen CO2 ausgestoßen.

Aubrey Meyer: Ja, sehr. Aber irgendwann musste es so weit sein. Es gibt keinen anderen Weg, das Klimadilemma zu lösen. Was Frau Merkel jetzt in Japan vorgeschlagen hat, ist logisch und einfach. Jeder kann anhand der Bevölkerungszahl abzählen, wie viel CO2 ein Land ausstoßen darf. Zu dieser Logik kommt das moralische Argument. Afrikaner und Asiaten emittieren nur einen kleinen Bruchteil von dem, was in Europa oder den USA ausgestoßen wird. Um zu einem Kompromiss mit den Entwicklungs- und Schwellenländern zu kommen, muss man erst einmal anerkennen, dass jeder Mensch das gleiche Recht an der Atmosphäre hat. Man muss sozusagen die Klima-Apartheid beenden. Dann ist es möglich, alle in einem gemeinsamen Kompromiss zu vereinen.

Bisher müssen gemäß Kioto-Protokoll nur die Industriestaaten ihre CO2-Emissionen senken. Ihre Minderungsverpflichtungen sind berechnet nach dem bisherigen Ausstoß. Die Bevölkerungszahl spielt keine Rolle. Was stört sie daran?

Der Kioto-Ansatz ist wie ein Pokerspiel. Die bisherigen Reduktionsverpflichtungen sind nicht rational begründet. Welches Land wie viel CO2 ausstoßen darf, hängt zu sehr von Zufällen und Verhandlungsgeschick ab. Außerdem ist Kioto nur eine Teilantwort auf das Klimaproblem, weil es nicht jedes Land einbezieht. Der Pro-Kopf-Ansatz dagegen ist per Definition global.

Wie kann man das Konzept in der Praxis umsetzen?

Die Basis ist das Ziel, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Dafür dürfen wir eine bestimmte Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre nicht überschreiten. Von da aus kann man ausrechnen, wie viel die Erdbevölkerung zu einem bestimmten Zieldatum noch ausstoßen darf und diese Menge durch die Anzahl der Erdbewohner teilen. Wenn jedes Land je nach Einwohnerzahl einen festgelegten Anteil an der Atmosphäre besitzt, wird ein globaler Emissionshandel nicht nur möglich, sondern auch sehr hilfreich.

Bei voraussichtlich neun Milliarden Einwohnern bleiben 2050 pro Kopf noch 1,5 Tonnen CO2-Ausstoß pro Person. Ein US-Amerikaner stößt heute noch durchschnittlich 20 Tonnen aus. Wie soll das gehen?

Auch eine solche Reduktion um mehr als 90 Prozent ist möglich, es kommt nur darauf an, wie schnell sich die US-Wirtschaft auf Alternativen zum Kohlenstoff umstellt. Wenn die mal ihre Erfindungsgabe anschalten würden, könnten sie bald vielleicht sogar Emissionsrechte verkaufen.

Was bedeutet Merkels Vorstoß für die anstehenden Klimaverhandlungen?

Frau Merkel reagiert mit ihrem Vorschlag auf einen Vorstoß der indischen Delegation beim G-8-Gipfel in Heiligendamm. Die haben dort gesagt: Wenn ihr Industrieländer euch anstrengt, versprechen wir euch, pro Kopf nie mehr zu emittieren als ihr. Die Entwicklungsländer fordern den Pro-Kopf-Ansatz schon lange. Merkel gibt jetzt die perfekte Antwort. Das ist näher am Ideal der globalen Klimagerechtigkeit als alle bisherigen Vorschläge.

INTERVIEW: NIKOLAI FICHTNER

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