Kommentar: Die üblichen Verdächtigen

Zehn Verdächtige sind im Zusammenhang mit dem Mord an der russischen Journalistin Anna Politkowskaja verhaftet worden. Sieht aus wie eine typische Justiz-Farce des Kreml.

Soll noch jemand sagen, in Russland gebe es keine ermutigenden Entwicklungen: Glaubt man den offiziellen Verlautbarungen, so ist es jetzt doch tatsächlich gelungen, in Zusammenhang mit dem Mord an der regimekritischen Journalistin Anna Politkowskaja zehn Verdächtige dingfest zu machen. Das ist eine Spitzenleistung für ein Land, in dem seit dem Amtsantritt von Wladimir Putin 20 Journalisten ihr Leben lassen mussten - und kein einziger dieser Fälle bislang aufgeklärt wurde.

Doch jede Freude über diese Nachricht wäre verfrüht. Wer sich die Gruppe der Festgenommenen genau ansieht, der wird sich des Verdachts nicht erwehren können, dass Moskau mal wieder eine seiner üblichen Justiz-Farcen aufführt. So sind neben Polizisten und Geheimdienstmitarbeitern - wie könnte es anders sein - unter den Beschuldigten auch drei Tschetschenen. Nicht zu vergessen ist auch der große Unbekannte, der aus dem Ausland die Fäden gezogen haben soll: Boris Beressowski wird hier verdächtigt. Das macht Sinn, denn der steinreiche, in Großbritannien lebende Oligarch soll ja nach Moskauer Lesart schon den vergifteten Exgeheimdienstler Alexander Litvinenko auf dem Gewissen haben.

"Verräter" wie Beressowski wollten Russland diskreditieren, bemerkte Generalstaatsanwalt Juri Tschaika nach den jüngsten Festnahmen: als ob das das Regime, wenn es um Meinungsfreiheit oder Menschenrechte geht, dies nicht täglich selbst problemlos zustande brächte.

Die Frage ist nur, warum es Moskau plötzlich so eilig hat, der Öffentlichkeit Verdächtige zu präsentieren. Diese eher untypische Betriebsamkeit könnte mit den Wahlen im Herbst und im kommenden Frühjahr zusammenhängen. Da macht es sich immer gut, den Wählern einmal effektiv und erfolgreich arbeitende Ermittler zu präsentieren. Wenn dann das Ganze auch noch dazu angetan ist, die Stimmung gegen altbekannte Sündenböcke wie Kaukasier oder Oligarchen anzuheizen - umso besser. Der nächste "Ermittlungserfolg" dieser Art dürfte da wohl nicht allzu lange auf sich warten lassen.

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Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.

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