Rückholkampagne : Polen laufen die Arbeitskräfte weg

Rund 1,5 Millionen Polen haben seit 2004 ihre Heimat verlassen, um im Ausland zu arbeiten. In Breslau wurde eine Rückholkampagne gestartet.

Baustelle in Deutschland mit polnischen Arbeitern Bild: dpa

"Ich bin nur zu Besuch in Warschau. Ob ich nach Polen zurückkomme, weiß ich nicht. London ist die schönste Stadt der Welt", sprudelt Magda Osowska (28) hervor. Im Kiosk einer Warschauer Metrostation trifft sie per Zufall Bekannte. Vor zwei Jahren noch arbeitete sie als Producerin in einem Warschauer Fernsehstudio. "Ich will immer noch große Kinofilme drehen", erzählt sie. "Bei der Aufnahmeprüfung für Regisseure in London bin ich zwar durchgefallen. Mein Englisch war zu schlecht. Aber jetzt weiß ich, worauf es ankommt. Beim nächsten Mal schaffe ich es!" Sie packt Zeitung und Zigaretten zusammen, winkt kurz und hechtet die Treppen hinunter. Ihr Zug fährt gerade ein.

Der drohende Arbeitskräftemangel hat in Polen eine heiße Debatte ausgelöst. Zur Zeit boomt Polens Baubranche, und Investoren wie Politiker fragen sich: "Wie holen wir die Handwerker, die in den letzten Jahren unser Land verlassen haben, wieder zurück nach Polen?" Da das weit schwieriger ist als erwartet, öffnet Polen nun den Arbeitsmarkt für Schreiner, Maurer und Installateure aus den östlichen Nachbarländern. Schätzungen zufolge arbeiten heute bereits hunderttausende Ukrainer und Weißrussen in Polen, die meisten von ihnen illegal auf dem Bau und in der Landwirtschaft. Mit der Drei-Monats-Regelung sind die Arbeitgeber aber nicht zufrieden. Sie fordern Arbeitsvisa für ein Jahr: "Sonst bekommen wir keine Spezialisten."

Wie viele Polen seit dem EU-Beitritt ihres Landes die Koffer gepackt haben, um im Ausland Arbeit und ein besseres Leben zu finden, weiß niemand genau. Viele kommen nach einer Saison Spargelstechen, Weinernte oder Erdbeerpflücken auch weder zurück. Das polnische Arbeitsministerium schätzt ihre Zahl auf knapp 2 Millionen, Polens Medien gehen sogar von bis zu 4 Millionen Arbeitsmigranten aus. Erstmals hat nun das Warschauer Marktforschungsinstitut ARC eine umfassende Studie zu Polen in Großbritannien und Irland vorgelegt. "Emigranci: Nie wracamy - Wir kommen nicht zurück!" - titelte daraufhin Polens bedeutendste Tageszeitung Gazeta Wyborcza. "Die Hälfte der Polen will in nächster Zukunft nicht zurückkehren. Sie verdienen durchschnittlich 2.000 Euro netto."

Anders als bisher angenommen, sind es nicht nur Arbeitslose und verzweifelte Geringverdiener, die alles auf eine Karte setzen, das Geld für eine Fahrkarte zusammenkratzen und ihr Glück im Ausland suchen. Vielmehr sind es oft junge und gut ausgebildete Polinnen und Polen, die trotz der guten Konjunktur ihr Land verlassen. Die Motive sind unterschiedlich: der zu langsame Anstieg des Lebensstandards, die fehlende Perspektive für die eigene berufliche Karriere oder die Provinzialität der polnischen Politiker.

Die Soziologin Krystyna Iglicka-Okolska vom Forschungszentrum für europäische Migration an der Warschauer Universität schätzt, dass 1,5 Millionen Polen das Land seit Mai 2004 verlassen haben. Offiziell registriert sind in Großbritannien 600.000 Polen und in Irland 200.000. Die meisten arbeiten auf dem Bau (20 Prozent), in der Gastronomie (15 Prozent) und im Hotelwesen (11 Prozent). Sie verdienen durchschnittlich 2.000 Euro netto. In Polen würden sie weniger als die Hälfte auf die Hand bekommen. "Wenn die Kinder, die im Ausland geboren werden, dort auch zur Schule gehen, kommen die Familien nicht mehr zurück", erklärt Krystyna Iglicka-Okolska.

Agnieszka ist so eine junge Mutter. Vor zwei Jahren kam sie mit ihrem Mann nach London. Obwohl die junge Lehrerin zunächst nur einen Job als Kellnerin finden konnte, sagt sie: "Ich will nicht zurück nach Polen. Bald wird meine Mutter nachkommen. Dann kaufen wir ein Haus auf dem Land und werden dort leben."

Auch Pawel will nicht zurück. Der Ökonom lebt seit fünf Jahren in London. "Ich bleibe. Ich beende hier den Kurs für Börsenmakler und zahle den Kredit für meine Londoner Wohnung ab." Jerzy hingegen zögert noch. Der Schreiner arbeitet seit drei Jahren auf dem Bau und verdient 2.500 Euro monatlich. "Wahrscheinlich kaufe ich ein Haus in Polen. Wenn ich genug Geld beisammen habe, kehre ich zurück."

Adam Czarnecki vom Marktforschungsinstituts ARC in Warschau geht aber davon aus, dass gerade die gut ausgebildeten Polinnen und Polen im Ausland bleiben werden: "Der statistische Emigrant ist eher jung. Die meisten sind noch keine dreißig Jahre alt. Oft ist es nicht der erste Job nach dem Studium. Die meisten haben schon etwas Berufserfahrung in Polen gesammelt, waren aber mit dem Verdienst unzufrieden."

Als Umfragen ergaben, dass 60 Prozent aller Jugendlichen in Polen keine Perspektive für ein auskömmliches Leben in Polen sehen und mit dem Gedanken an Emigration spielen, startete der Stadtpräsident von Breslau eine Rückholkampagne. In London und Dublin warb er auf Plakaten und in Polnisch: "Kommt nach Breslau. Hier gibt es Arbeit und einen guten Verdienst."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.