Mecklenburg-Vorpommern: Gericht lehnt Kreisgebietsreform ab

Mecklenburg-Vorpommerns Landkreise dürfen nicht so radikal fusioniert werden, wie es die Regierung wollte.

Lindenallee nahe Schloss Bothmerim im Landkreis Nordwestmecklenburg Bild: dpa

BERLIN taz Zwischen zwei Terminen in seinem Kreis würde ein Landrat 100 Kilometer zurücklegen müssen - in einem Verwaltungsgebiet, das dreimal so groß wie das Saarland ist: Ginge es nach der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern, wäre dies ab 2009 Realität und das dünn besiedelte Land in fünf Riesenlandkreise aufgeteilt. Doch nun lehnte das Landesverfassungsgericht die Kreisgebietsreform ab, die vor neun Jahren von der rot-roten Regierung eingeleitet und 2006 von der neuen rot-schwarzen Koalition beschlossen worden war.

Das Urteil ist bisher einmalig: Erstmals wurde eine Gebietsreform in Deutschland mit der Begründung abgelehnt, dass dadurch eine bürgernahe Demokratie nicht mehr gewährleistet ist. Den Bürgern sei es durch die Größe der Landkreise erschwert, auf Kreisebene politisch tätig zu sein, heißt es im Urteil. Experten schätzen, dass die Entscheidung der Richter Vorbild für ähnliche, demnächst anstehende Reformen in Schleswig-Holstein und Sachsen sein kann.

Vor das Landesverfassungsgericht gezogen waren elf Landkreise und 24 ehemalige CDU-Landtagsabgeordnete. Mit der Zusammenlegung der zwölf Kreise und sechs kreisfreien Städte zu fünf Großkreisen wollte die Landesregierung in Schwerin auf die schwindende Bevölkerungszahl reagieren und die Verwaltung effizienter machen. Bis zu 180 Millionen Euro jährlich wollte die Regierung damit sparen. Auf Kosten der Demokratie. Denn durch die Vergrößerung der Kreise verlängern sich auch die Wege für ehrenamtlich tätige Mitglieder der Kreisparlamente. "Für sie ist es schwer zumutbar, ständig 40 bis 80 Kilometer fahren zu müssen", sagt Werner Patzelt, Professor für Politikwissenschaft an der Technischen Universität Dresden. Es könne nicht nur um Wirtschaftlichkeit gehen, sondern auch die Möglichkeiten zur demokratischen Teilhabe müssten bedacht werden.

"Die Zeit der Zwerggemeinden ist vorbei", sagt er. Dennoch müssten Entscheidungen auch in Zukunft in der Nähe der Betroffenen gefällt werden. Er sieht im Urteil den in ganz Deutschland laufenden Gebietsreformprozess, "wenn nicht an ein Ende gekommen, so doch zumindest vor höhere Hürden gestellt". Dennoch müsse darüber nachgedacht werden, wie man die staatliche Verwaltung in immer dünner besiedelten Regionen organisiere.

"Das Urteil ist nicht nur mutig, sondern ein Riesenschritt in der Rechtsprechung", sagt Johannes Lichdi, Grünen-Abgeordneter im sächsischen Landtag. Er sieht es auch als Vorbild für geplante Gebietsreformen in anderen Bundesländern. "Der jetzige Entwurf für die Reform in Sachsen, muss noch einmal komplett neu gedacht werden."

"Je größer ein Kreis, desto schwerer ist die politische Teilhabe", sagt Michael Efler von der Initiative "Mehr Demokratie". Bürgerbegehren seien in größeren Kreisen viel schwerer durchsetzbar. Efler begrüßte das Urteil. "In Deutschland grassiert ein Effizienzwahn in der Verwaltung."

Die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern strebt nach der Schlappe vor Gericht eine veränderte Gebietsreform an. Einzelheiten teilte sie aber noch nicht mit. "Wir werden jetzt das Urteil in allen Facetten gründlich analysieren", sagte Ministerpräsident Harald Ringstorff (SPD). ANDREAS BACHMANN/ JON MENDRALA

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