Libanon: Großoffensive gegen Islamisten

Im Kampf gegen Militante im Palästinenserlager Nahr al Bared kündigt die Armee eine "Entscheidungsschlacht" an - und rückt mit Panzern vor.

Flammen im Palästinenserlager Nahr el-Bared Bild: ap

Der Wiederaufbau der Schnellstrassenbrücke im Viertel Haret Hreik in der südlichen Vorstadt Beiruts ist vielleicht symptomatisch für den Zustand des Libanon. Die Brücke war im Krieg zwischen Israel und Hisbollah im vergangenen Sommer bei einem israelischen Luftangriff zerstört worden. Zwei Wochen waren die Arbeiten zur Instandsetzung der Brücke gerade beendet worden, da brach das Bauwerk zusammen. Schlamperei, billiges Baumaterial? Es ist halt eine libanesische Geschichte.

Ein Jahr nach Beginn des Krieges, dem 1.200 Libanesen, die meisten von ihnen Zivilisten, zum Opfer gefallen sind, brechen nicht nur wiederaufgebaute Brücken zusammen. Das ganze politische System ist kollabiert. Das Land durchlebt die größte Krise seit den Zeiten des Bürgerkrieges von 1975 bis 1990.

Der Machtkampf zwischen der prowestlichen Regierung von Premierminister Fuad Siniora und dem pro-syrischen und pro-iranischen Oppositionsbündnis, angeführt von der schiitischen Hisbollah, paralysiert seit dem Kriegsende am 16. August vergangenen Jahres alle politischen Institutionen. Die Regierung ist praktisch handlungsunfähig. Das Zentrum Beiruts ist schon seit Monaten durch eine Zeltstadt blockiert, die der sich Anhänger der Opposition eingerichtet haben. Sie propagieren den Sturz der in den Nachbargebäuden belagerten Regierung.

Der nächste Höhepunkt der Krise ist bereits vorgezeichnet. Im September muss das Parlament mit einer Zweidrittelmehrheit einen neuen Präsidenten wählen. Die Amtszeit des jetzigen Staatschefs, des pro-syrischen Emile Lahoud, läuft am 25. November aus. "Die Wahlen werden der Schlüssel für Libanons Zukunft sein. Wenn die Libanesen sich auf einen Präsidenten einigen können, wird das Land wieder vereint, wenn nicht, dann blickt es einer unbekannten Zukunft entgegen,", warnt ein westlicher Diplomat.

Hisbollah schlägt vor, einen neutralen Kandidaten zu suchen oder den Wahltermin zu verschieben. Die Regierung, die die Mehrheit im Parlament stellt, lehnt jede Verzögerung dagegen ab. "Wenn die Wahlen nicht in der Zeit von der Verfassung festgelegten Zeit abgehalten werden, gibt es keinerlei Garantien, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden," meint Amin Gemayel vom Regierungslager. Immerhin haben sich beide Seiten darauf geeinigt, am 14. und 15. Juli in Paris zusammenzukommen, um vielleicht doch noch eine Lösung zu finden.

Als neue Karte im undurchsichtigen libanesischen Spiel erweisen sich militante sunnitischen Gruppierungen, inspiriert vom Terrornetzwerk Al-Qaida, wie Fatah al Islam, die sich bereits seit sieben Wochen im Palästinenserlager Nahr al Bared im Norden des Landes eine blutige Schlacht mit der Armee liefert, der bisher 200 Menschen zum Opfer fielen. Vor zwei Wochen hatte die Armee bereits den Sieg verkündet, aber am Donnerstag wieder eine "Entscheidungsschlacht" angekündigt.

Ein militante sunnitische Gruppierung soll auch für den ersten Anschlag auf die im Südlibanon stationierten UNO-Truppen der UNIFIL verantwortlich sein, bei dem im Juni sechs Blauhelme des spanischen Kontingents ums Leben kamen. Jene, die den Anschlag untersuchen, sind des Lobes voll für die "exzellente Zusammenarbeit" mit Hisbollah. Ausgerechnet die schiitische Bewegung erweist sich jetzt als die wichtigste Schutzmacht der UNIFIL gegenüber den von Al Qaida inspirierten Gruppen. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah ließ es sich nicht nehmen, süffisant anzumerken dass "die Regierung das Land dem amerikanischen strategischen Interesse unterworfen hat, und den Libanon dadurch in ein ausgewähltes Land für militante sunnitische Islamisten verwandelt hat". Doch während die israelische Armee regelmäßig Manöver durchführt, baut Hisbollah nördlich des Litani-Flusses ihre Bunkerstellungen aus und stockt ihre Raketenbestände auf.

In den Feldern und Dörfern des Südens lauert auch noch ein tödliches Erbe des Krieges. Vor allem in den letzten Kriegstagen setzte die israelische Armee Streubomben aus US-Produktion ein. Über eine Million dieser Sprengsätze sind nicht explodiert. Zwar konnten durch mühevolle Kleinarbeit bisher 122.500 entschärft werden, aber seit dem Waffenstillstand wurden 30 Menschen durch die Sprengfallen getötet, weitere 200 verletzt. "Die Arbeit wird uns besonders schwer gemacht, weil wir von der israelischen Seite trotz mehrfacher Nachfragen bisher keine detaillierten Pläne und Angaben über die Einsatzorte der Streubomben erhalten haben", klagt Dalia Farran, die Sprecherin der UN-Koordination für die Minen- und Streubombensuche.

In den libanesischen Zeitungen finden sich immer wieder Meldungen über neue Unfälle, etwa den der 16jährige Rasha Zayoun. Sie saß vor einigen Monaten in ihrem Haus im Dorf Maakre, um wilde Thymianblätter zu sortieren. Als sie mit ihrem Finger an einem Band hängen blieb, das als Auslöser für den tennisballförmigen Sprengsatz dient, drückte die die Druckwelle sie gegen die Wand und riss ihr linkes Bein ab. "Ich bin früher immer mit meinen Freunden ausgegangen, jetzt male ich Bilder, um die Zeit totzuschlagen", erzählt sie, während sie bedrückt auf einem Stuhl sitzt und der schwarz-goldene Velcroschuh an ihrer Prothese hängt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.