Debatte: Willkommen im Wettbewerb

Der traditionellen Hilfe für die Entwicklungsländer gehen die Partner aus. Nicht nur Deutschland muss sich bei der Entwicklungshilfe einer neuen Dynamik stellen

Am Zaun von Heiligendamm standen sie sich beinahe feindlich gegenüber: der globalisierungskritische Aktivist und der leitende Mitarbeiter der G-8-Regierung. Ihre Vorstellungswelt allerdings weist mehr Gemeinsamkeiten, auf als beide wahrhaben wollen. Beide wollen sie die "armen Länder" dieser Welt retten, der eine mit etatistischen, die anderen mit etwas mehr marktwirtschaftlichen Rezepten. Und beide sind sich bei Unterschieden im Detail einig, dass die sogenannte Dritte Welt mehr Entwicklungshilfe braucht, die aber nur den "guten armen" Menschen und nicht "unfähigen Bürokraten und bösen Diktatoren" zugute kommen darf. Wer böse und wer gut ist, auch da unterscheiden sich beide in ihrer Grundeinstellung nicht wesentlich, darüber müssen die entscheiden, die das Geld geben.

Deshalb teilen auch beide mehr oder weniger ausgesprochen ein tief empfundenes Unbehagen über die Aktivitäten der neuen Spieler, die auf dem Markt der Entwicklungsfinanzierung auftauchen. Die besser Informierten ahnen, dass nicht nur China, sondern auch Länder wie Indien, Brasilien, Südkorea, Malaysia und andere dem Westen das Monopol auf Entwicklungshilfe in den kommenden Jahren energisch streitig machen werden.

Die wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse in der Welt verschieben sich rasch. Die asiatischen Tigerstaaten nähern sich mit ihrem Pro-Kopf-Einkommen dem Durchschnitt in der EU. Rechnet man das Sozialprodukt Chinas auf Basis von Kaufkraftparitäten um, dann hat China zwischenzeitlich alle EU-Länder überholt und liegt nur noch marginal hinter den USA. Der mit dieser Entwicklung einhergehende Bedarf an mineralischen und agrarischen Rohstoffen ändert die Position vieler ärmerer Entwicklungsländer im Gefüge der Weltwirtschaft dramatisch. Während professorale Entwicklungstheoretiker noch über das Schicksal von rohstoffarmen Ländern in Subsahara-Afrika ohne Zugang zum Meer publizieren, zeigt ein Blick auf die Liste der in Planung und in Umsetzung befindlichen Bergbauprojekte, dass es die Kategorie des "landlocked and ressource poor country" in Afrika schon bald nicht mehr geben wird.

Das relative Gewicht der klassischen subventionierten Entwicklungshilfe (EZ) westlicher Länder an der Entwicklungsfinanzierung der sogenannten Dritten Welt nimmt laufend ab. Selbst in Ländern wie Kenia und Kamerun beträgt der Anteil der EZ an der Finanzierung der nationalen Haushalte nur noch 5 Prozent. Die Gelder für Entwicklung kommen auch in Afrika zunehmend aus Steuer- und Zolleinnahmen, Konzessions- und Lizenzabgaben, Zuflüssen von Auslandskapital, Rücküberweisungen der Diaspora und Zuschüssen und Krediten der neuen Geber, wie etwa von China. Zusätzliche Konkurrenz erwächst der klassischen westlichen EZ zudem aus dem Agieren potenter privater Stiftungen, etwa der Bill Gates Foundation.

Die "Entwicklungsindustrie" in Deutschland tut sich noch schwer damit, diese Aspekte der weltwirtschaftlichen Dynamik wahrzunehmen. Dabei bietet die Entwicklung große Chancen. Die jahrzehntelange Debatte, ob Entwicklungspolitik mehr Schaden oder mehr Nutzen anrichtet, wird nicht mehr in den Hörsälen entschieden, sondern auf dem sich entwickelnden Markt für Entwicklungsfinanzierung. Auch viele "arme" Länder werden in eine Position hineinwachsen, wo sie sich zwischen Kooperationsangeboten entscheiden können. Die "Entwicklungsindustrie" der OECD-Länder wird sich dem Wettbewerb stellen müssen. Und das wird mit Blick auf die oft etwas verkrampfte Debatte über die "Konditionalitäten der Entwicklungshilfe" reinigende Wirkung entfalten. Auch da fanden und finden sich staatliche Kooperation und nichtstaatliche Organisationen meist in einer strukturell vergleichbaren Position: Auf der einen Seite wird das Partnerschaftsprinzip hoch gehalten, auf der anderen Seite sollen die Partner natürlich nur das tun, was sich die europäische Öffentlichkeit unter "guter Entwicklungszusammenarbeit" gemäß der viele Dutzend von Kriterien umfassenden Evaluierungslisten der Geldgeber vorstellt. Da wird in Zukunft manche Übung partnerschaftlicher Rhetorik entfallen können: Das Modell Indien - das Land entscheidet schon heute sehr souverän, von welchem Land es zu welchen Konditionen EZ akzeptiert - wird Schule machen.

Auch die verschiedenen Protagonisten der deutschen Afrikadebatte eint mehr, als sie auf den ersten Blick wahrhaben wollen: Die Globalisierungskritiker suchen nach immer neuen Beweisen für ihre Thesen, dass die gegenwärtige Form der weltwirtschaftlichen Verfasstheit Menschen ins Elend stürzt. Und professorale Beobachter konstatieren verfestigte "neopatrimoniale" Verhältnisse, ohne die Modernisierungsschübe wahrzunehmen, die den Kontinent bei allen Widersprüchen auch kennzeichnen. Beide wetteifern in gewissem Sinne darin, den Afrikanern die Erfolge streitig zu machen, die sie in den letzten Jahren zweifelsohne erzielt haben. Es ist deshalb kein Wunder, dass sich die Eliten Afrikas verstärkt nach neuen Partnern umsehen.

Wer sich die Vorbereitungen der Bundesregierung auf Heiligendamm genau ansieht, wird den Spagat zwischen dem von großen Teilen der deutschen Öffentlichkeit erwarteten traditionellen "Entwicklungspaternalismus" und der sich ausbreitenden Erkenntnis, dass sich Deutschland auch im Bereich der internationalen Kooperation mit Afrika immer stärker dem Wettbewerb stellen muss, erkennen. Die Motivation der Hinwendung zu Afrika pendelt zwischen Fürsorge und der Einstellung auf neue weltwirtschaftliche Realitäten. Der Erkenntnisprozess der Regierung scheint dabei weiter fortgeschritten als der eines großen Teils der entwicklungspolitischen und globalisierungskritischen Öffentlichkeit.

Nun können Deutschland und Europa wertvolle Beiträge zur Entwicklung Afrikas leisten und ihre spezifischen Stärken in die Kooperation einbringen. Für große Teile der afrikanischen Eliten ist Good Governance ebenso wichtig wie für Europa. Eine klar auf einige wenige wesentliche Punkte fokussierte Konditionalität der Zusammenarbeit, die das Ergebnis gleichberechtigter Verhandlungen ist und eigene Interessen offen benennt, wird in Afrika viele Verbündete finden. Europa wird dabei umso mehr Verständnis finden, wie es sich gleichzeitig den afrikanischen Eliten in der Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kulturkooperation mehr öffnet, Austausch und Pendelmigration ermöglicht. Und europäische und deutsche Unternehmen werden sich im Wettbewerb umso besser behaupten, wie sie auf eine enge Zusammenarbeit mit und die Qualifizierung von lokalen Unternehmen setzten.

Es ist an der Zeit, sich auch mental auf eine Welt mit deutlich veränderten Kräfteverhältnissen einzustellen, in der wir uns nur noch als Europäer behaupten können und in der dem traditionellen Entwicklungspaternalismus schlicht die Partner ausgehen werden.

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