EU-Ratspräsident: Kühler Reformer wird Mr. EU

Portugals Ministerpräsident José Sócrates übernimmt den EU-Vorsitz von Angela Merkel. Spätestens auf dem Gipfel im Oktober wird er beweisen müssen, was er kann.

Mister EU: Portugals Ministerpräsident José Sócrates (49) Bild: reuters

In seiner Heimat genießt er den Ruf eines knallharten Reformers, jetzt kann er seine Fähigkeiten in Europa unter Beweis stellen: Am Sonntag übernimmt der portugiesische Ministerpräsident José Sócrates (49) den EU-Vorsitz von Angela Merkel. Dafür wird der leidenschaftliche Jogger einen langen Atem brauchen

Seine Freunde bescheinigen Sócrates Durchsetzungsvermögen und Entschlossenheit, seine Kritiker beschreiben ihn als kühl und autoritär. Als portugiesischer Ministerpräsident griff er nach seiner Wahl im März vor zwei Jahren hart durch - mit 7 Prozent war ihm das portugiesische Haushaltsdefizit zu groß für einen politischen Schmusekurs: Er fror die ohnehin schon niedrigen Löhne ein, erhöhte die Steuern und kündigte an, den Kündigungsschutz zu lockern.

Populär haben ihn diese Maßnahmen zu Hause nicht gemacht: Gegner des Sparkurses demonstrieren in Lissabon seit Wochen, Ende Mai legte ein Generalstreik viele Schulen und Krankenhäuser lahm. Zudem musste sich Sócrates in den letzten Wochen gegen Gerüchte wehren, sein Unidiplom als Bauingenieur könnte gefälscht sein. Er dürfte froh sein, wenn sich das öffentliche Interesse nun Europa zuwendet.

Ganz leicht werden die nächsten sechs Monate wohl kaum werden - auch wenn hier nicht seine Fähigkeit als Bauingenieur, sondern sein politisches Geschick gefragt sein wird. Spätestens auf dem Gipfel im Oktober wird Sócrates beweisen müssen, was er kann. Dann nämlich soll der neue EU-Reformvertrag verabschiedet werden. Doch noch ist unklar, ob am Ende wirklich alle 27 Staaten dem in Brüssel beschlossenen Vertragsgerüst zustimmen werden. Außerdem droht Streit mit Frankreich:

Präsident Sarkozy zeigte sich in den letzten Tagen wild entschlossen, auf dem Dezember-Gipfel eine Debatte über den Türkei-Beitritt zu entfachen und diesen womöglich zu verhindern. Vor sechs Jahren auf dem Gipfel in Göteborg handelte Sócrates politisches Vorbild, der ehemalige schwedische Premier Göran Persson, das Jahr 2004 als Beitrittstermin für die zehn mittel- und osteuropäischen Staaten aus. An dem Ergebnis wird sich der Portugiese als überzeugter Türkei-Befürworter messen wollen. Für eigene Akzente wie die Beziehungen zu Afrika und Südamerika wird neben den politischen Großvorhaben wenig Raum bleiben.

Seit mehr als 25 Jahren ist José Sócrates politisch aktiv, er war Abgeordneter, Staatssekretär und Minister. Zu Hause regiert er mit absoluter Mehrheit, in der EU sind die Konservativen in der Überzahl. Ein Spaziergang wird das halbe Jahr nicht werden.

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