Großbrittanien: Mehr Schampus! Da ist die Queen!

Niemand ist so elitär wie die Engländer. Und niemand so prollig. Bei den Pferderennen von Royal Ascot ist das unübersehbar.

Royal Ascot: Kirmes für Neureiche und Proleten mit Hüten. Bild: dpa

Es ist vorbei. Nach fast 300 Jahren Luxus und Leidenschaft liegt der Höhepunkt des englischen Kalenders im Dreck. "Das Volk liebt Ascot nicht mehr", seufzt der Guardian. "Royal Ascot hat den Glanz der Vergangenheit verloren", beklagt das Magazin Tatler. Wo sich seit 1711 der Adel treffe, machten sich jetzt Emporkömmlinge aus Mode-, Kunst und Bankenszene breit. Der Ticketverkauf für das exklusive Pferderennen ist sofort drastisch gesunken: Pro Tag fast 10.000 Besucher weniger. 2006 hatte man auf das schwindende Interesse mit einem 200 Millionen Pfund teuren Umbau der Anlage reagiert. Doch vergeblich. Vergangene Woche ergötzten sich nun sogar schon ausländische Blätter an dem britischen Debakel. Die Legende Ascot sei ein "Aufgalopp der Proleten", "eine Kirmes für Neureiche", titelte die Feiertagsausgabe der Frankfurter Allgemeinen.

Man sieht sie vor sich: die englische Elite in feinstem Zwirn, die blass an ihrem High Tea nippt, während die Türen bersten und der internationale Mob in den Altarraum, die Royal Enclosure, quillt. Hat nicht England mit Eaton und Oxford unsere Idee von Exklusivität überhaupt erst geprägt? Ist nicht Englisch die einzige Sprache, mit der sich der Status der besseren Gesellschaft adäquat ausdrücken lässt? Ausdrücke wie "quite", "is that so?" oder "we are not amused" sind doch übersetzt nur halb so viel wert. Sogar die Italiener, die sonst ja selbst für ihren Geschmack allerorts bewundert werden, verehren mit dem Gentlemanismo den Kult der Engländer. Doch Ascot hat mit den klassischen Distinktionsmerkmalen der Höhergeborenen nicht viel zu tun. Beim königlichen Pferderennen trifft man keine Flapper oder Dandys, niemanden, der dem Großvater des kleinen Lords oder Mr Darcey auch nur im Entferntesten ähnlich ist. Hier zählen Exzentrik und Derbheit, die Königsdisziplinen der Englishness.

Die wichtigste Etikette von Ascot scheint die ständige Bewegung der Masse zu sein: drängeln beim Wettbüro, schubsen auf der Rolltreppe, dann den vordersten Platz auf der Tribüne ergattern, die Pferde anbrüllen und ebenso schnell wieder runter in den ersten Stock zur nächsten Wette. Die Morning Suits mit grauem oder schwarzem Zylinder und die durchgedrehten Hüte verleihen ihren Trägern auch nicht wirklich mehr Würde, sondern unterstreichen eher den karnevalistischen Aspekt der Veranstaltung. "Tacky and tarty" - billig und nuttig, kommentiert eine Besucherin. Die hochdotierten Körper quillen ungehemmt unter und über den Säumen hervor. Was von selbst nicht so recht halten will, wird gepuscht und festgequetscht. Zwischendurch wird in solchen Mengen Champagner getrunken, dass ein Kölner Kneipenwirt ganz neidisch wäre.

"Mein Ladies Day ist mir verdorben", schrieb Miss J. Palfreman, 56, am Freitag empört an die Times, "naiverweise nahm ich an, dass so ein 'high-profile royal event' eine bessere Sorte Menschen anziehen würde." Stattdessen musste sie eine Gruppe Frauen ertragen, die außerhalb jeder Norm mit Männern geflirtet hätte - Männern zudem, die weit über dem Stand der besagten Flirterinnen wären.

Ascot ist ein Spektakel. Als man George Bernard Shaws Drama "Pygmalion" zu dem Musical "My Fair Lady" umrüstete, da durfte die legendäre Rennwoche nicht fehlen. Wo sonst hätte sich die falsche Lady so leicht danebenbenehmen können, ohne dass es groß auffällt. Der Kritikpunkt der Presse ist also gar nicht, dass Ascot eine Kirmes ist. Das soll es auch sein. Die Kirmes ist eben nur nicht mehr ganz so exklusiv.

Der besagte Pöbel trifft sich schon morgens an der Londoner Liverpool Street Station. Mitten unter die Touristen und Einheimischen mischt sich die bunte Menge mit irren Kleidchen und bizarren Kopfinstallationen. Hier wird deutlich, warum der Engländer sein Lieblichen auch gerne mal "bird" nennt: Teilweise erinnern die Klamotten an mehr oder weniger gerupfte Federkleider. Manch eine kaschiert mit einem Hauch von Stoff nur sehr bedingt ein ausladendes Hinterteil, bei einer blitzt sogar eine rosa-grün geringelte Unterhose durch. Mit den so oft zitierten Kleidergesetzen scheint es nicht weit her zu sein. Paul Heigh von der Racing Post kommentiert: "Die Menschen (meistens weibliche) wären schön gewesen, wenn sie vielleicht vorher ein Bad genommen und dann Jeans und T-Shirt angezogen hätten." Diese Chance sei jedoch verpasst worden.

Der Mann am Zeitungskiosk scheint da andere Ansprüche zu haben. "Love your hat", brüllt er einer Nachwuchsneureichen mit Samtschiffchen und Schleier entgegen. Zeitung habe er zwar keine mehr, aber die brauche sie ohnehin nicht. "Im ersten Rennen gewinnt 'Maze'", erklärt er.

Auf dem Weg zum Vorstadtzug scheint einigen zum ersten Mal aufzufallen, dass es hier ja auch eine erste und zweite Klasse gibt, so wie im Flugzeug. "Entschuldigt bitte, ich habe aus Versehen die billigeren Tickets gekauft", muss eine zerknirschte Unternehmensberaterin ihren Mitreisenden gestehen. Im Zug gibt es dann das erste Picknick: Chicken McNuggets und Champagner - es sind immerhin fast fünfzig Kilometer bis Ascot. Wer ein bisschen mehr auf sich hält, kommt mit dem eigenen Auto. Auch in diesem Fall ist jedoch aufs Picknick nicht zu verzichten: Fast einen ganzen Kilometer um die Rennbahn herum stehen hochdekorierte Menschen um ihre aufgeklappten Kofferräume und essen noch schnell ein paar Sandwichs. Das Ganze hat ein bisschen die Stimmung von Rock am Ring. Auch wenn der Guardian von einer 25-jährigen Lucy Armstrong aus London zu berichten weiß, die 2.500 englische Pfund für ihr Kleid hinlegte: Insgesamt dominieren Marks & Spencer und Monsoon. Und das gepunktete Kleid, das Katie Moss für den Top Shop angezogen hat, ist gleich mehrmals unterwegs.

Ascots Rennbahn ist ein kleiner Mikrokosmos. Genau wie in der Welt, die hier widergespiegelt wird, wird oben von unten fein säuberlich getrennt. Die gröbste Unterscheidung ist die Royal Enclosure, die die breite Öffentlichkeit von der Elite trennt. Sie begann bereits unter Königin Viktoria, 1845 ließ George IV. dann erstmal einen eigenen Gebäudeteil für den Adel bauen. Auch damals drängte schon die Mittelschicht nach oben. Ein Ticket zur Royal Enclosure bekommt nur, wer einen Bürgen hat, der bereits achtmal in Ascot war. Bis 1955 gab es sogar noch strengere Vorschriften: Geschiedenen war der Einlass verwehrt, und auch wer pleite war, musste draußen bleiben. Heute gibt es auch in der Royal Enclosure jede Menge Heterotypien mit ihren je eigenen Ordnungsprinzipien: General Admission, Heath, Silver Ring. Hier ein Zelt, in das ein Nachtclub nur die internationalen Player eingeladen hat, dort ein paar Boxen, die seit Generation in festen Händen sind, da eine Bar mit Gästeliste.

Die Queen trifft man daher auch in der Royal Enclosure nicht unbedingt an der Schlange zur Bar, um die nächste Flasche "Bolli", Champagner Bollinger, zu erstehen. Man kann ihrem unfassbar durchschnittlichem Hut zuwinken, wenn sie mit ihrer Kutsche in den Paradering einzieht. Man kann ihr von weitem zusehen, wie sie bei den Preisverleihungen - die übrigens an den Eigentümer und nicht an Pferd und Reiter gehen - geschäftig an den Pokalen und Schleifen rumnestelt, ansonsten muss man sich mit der Ansicht der Queens Box, einem hutschachtelähnlichen Glasufo, das mitten im der Zuschauertribüne eingebaut ist, zufrieden geben. Die Königin, so schreiben die Zeitungen, sei übrigens gar nicht begeistert von ihrer Unterkunft. Um ihr Lieblingspferd besser zu sehen, habe sie sogar auf einen Stuhl steigen müssen.

Die sechs Rennen unterteilen den Tag. In einer kleinen Broschüre kann man sich informieren, wie viel das Pferd wiegt, welchem der fünf Pferdegeschlechter es angehört, ob es ein Gewinner oder Verlierer ist und welche Jacke der Jockey trägt. Das eigentliche Rennen geht dann recht schnell, die Pferde starten irgendwo im Off, man sieht sie erst, wenn sie um die Kurve in die Zielgerade einbiegen, dann schreien 50.000 Menschen wie irre, dann gewinnt ein Pferd, ein Jockey reißt die Hand hoch und das Ganze geht wieder von vorne los.

Nach dem sechsten Lauf sieht es in Ascot so aus wie nach einem Schützenfest. Kurz vor dem Ausgang, wo sich Spreu und Weizen wieder mischen, haben ein paar tausend Leute angefangen "God save the Queen" zu singen. Eine ganze Menge eher indisponierte Männer tragen inzwischen die Hüte ihrer Frauen, während die meisten Frauen barfuß über die Wiesen traben. In der Royal Enclosure hat ein Schwarm Frauen beschlossen, die Last ihres Hinterns mit den unbequemen Plastikstühlen zu teilen, während ihre Herren stetig mit neuen Geldbündeln anmarschieren und ihre Gewinnsummen in Champagner umwandeln. Ein nicht mehr ganz frisches Double von Kate Winslet ohrfeigt lustlos am Nebentisch ihren Freund, irgendwie scheinen beide vergessen zu haben, worum ihr Streit noch mal ging. Ein Paar mit indischem Hintergrund und englischer Sozialisation stützt sich gegenseitig beim Gang die Treppe zur Toilette hinunter, und ein nur leicht angetrunkener Banker aus Pakistan, der seit zwei Jahren in London lebt, erklärt fasziniert: "Ich habe noch nie so viele Engländer auf einem Haufen gesehen." God save Ascot.

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