WTO: Rettungsversuch für die Handelsrunde

Im Potsdamer Cecilienhof feilschen die USA, Indien, Brasilien und die EU um Agrarsubventionen - bis zur Einigung auf einen neuen Vertrag. Doch Kritiker hoffen auf ein Scheitern

Erschweren ein Abkommen: Subventionierte US-Farmer. Bild: ap

Verhandlungen am abgeschirmten Tisch
Letzter Rettungsversuch für die laufende WTO-Runde: Im Potsdamer Cecilienhof feilschen die USA, Indien, Brasilien und die EU um Agrarsubventionen und Zölle - bis zur Einigung auf einen neuen Vertrag. Kritiker hoffen auf Scheitern der Gespräche

AUS POTSDAM NIKOLAI FICHTNER

So richtig haben sie nicht verstanden, warum sie nicht reindürfen. So gerne hätte die Touristengruppe aus Speyer den berühmten Verhandlungstisch im Potsdamer Cecilienhof gesehen. "Da sind wohl Prominente drin", vermutet eine ältere Dame. Die Führerin erzählt, dass in diesem Raum Stalin, Truman und Churchill 1945 die Neuordnung der Welt beschlossen haben. Die Dame nickt. Von der G 4 dagegen hat sie noch nie etwas gehört. Die sitzt derweil im Innenhof des Schlosshotels und frühstückt. Genauer gesagt: die Handels- und Landwirtschaftsminster der USA, Indien, Brasilien und der EU-Kommission.

Diese "Gruppe der 4" hat sich fest vorgenommen, so lange zu verhandeln, bis sie sich auf einen neuen Vertrag für die Welthandelsorganisation WTO geeinigt hat. Mindestens bis Samstag; wenn nötig, auch länger. Kurz vor der Potsdam-Reise sagte EU-Handelskommissar Peter Mandelson: "Dieses Treffen kann die Doha-Runde nicht abschließen, aber es wird entscheiden, ob sie abgeschlossen werden kann."

Formal können die 150 WTO-Mitgliedstaaten nur gemeinsam die aktuelle Welthandelsrunde beschließen. Aber tatsächlich steckt die G 4 den Rahmen ab. Der Rest der Handelswelt wartet auf ihre Vorgabe. Die "Entwicklungsrunde" der WTO, 2001 in Doha gestartet, ist bisher ein Kreislauf aus Scheitern, Neuanfängen und letzten Chancen.

Auch in Potsdam ist wieder von einer "letzten Chance" die Rede. Diesmal könnte es stimmen: Ende Juni läuft die Verhandlungsvollmacht von US-Präsident George W. Bush ab. Der US-Kongress dürfte sie nur verlängern, wenn die Umrisse des neuen WTO-Abkommens bis Monatsende klar sind. WTO-Sprecher Keith Rockwell sagt dazu: "Wenn wir jetzt keinen Deal hinkriegen, dann ist die Doha-Runde für zwei bis drei Jahre tot." So lange dauert es, bis die neue US-Regierung eingearbeitet ist.

Die Vertreter der G 4 schweigen, aber ihre Kritiker sind vor Ort. Ein paar hundert Meter weiter haben sie ins Lokal "Zum Laubenpieper" geladen. Unterm Sonnenschirm erklären sie, warum sie hoffen, dass die G 4 da unten im Cecilienhof scheitert. "Diese Welthandelsrunde ist keine Entwicklungsrunde", sagt Tobias Reichert von Germanwatch. "Im Gegenteil: Die Menschen in den Entwicklungsländern hätten vom Abschluss mehr Nachteile als Vorteile." Auch ein echter Kleinbauer ist dabei, der Baske Paul Nicholson von Via Campesina. Für ihn ist die WTO schuld daran, dass heute Bauern in armen Ländern hungern. "Der Norden wirft billiges, subventioniertes Essen auf den Weltmarkt und zerstört damit die lokale Produktion, die mit den Dumpingpreisen nicht mithalten kann."

Die Landwirtschaft ist immer noch das umstrittenste Thema in der WTO. Es geht um die Frage, mit wie viel Geld die USA ihre Nahrungsmittel subventionieren und damit den Handel verzerren dürfen. Und darum, wie hoch die Zölle sein dürfen, mit denen die Europäer ihren Agrarmarkt vor den Produkten des Südens schützen. Für die brasilianische Delegation ist die Sache klar: Wenn sich USA und Europa nicht bewegen, bieten sie auch keine Zollsenkungen für Industriegüter an, die die Länder des Nordens fordern. Die Zollsenkungsformel, die momentan im Gespräch ist, sieht vor, dass die Industrieländer ihre Zölle um 28 Prozent senken und die Entwicklungsländer um 70 Prozent. Die Schwellenländer mit Indien an der Spitze wehren sich dagegen.

Für die ärmsten Länder aus Afrika spricht drinnen im Potsdamer Cecilienhof niemand. Draußen dagegen schon: Gegen Mittag haben sich ein paar Kleinbauern aus dem Süden und eine Handvoll Handelsaktivisten aus dem Norden vorm Schlosshotel versammelt. Sie haben Transparente entrollt und Großpuppen mitgebracht: Ein Hai mit WTO-Aufschrift attackiert die Puppen mit den Namen Erde, Wasser und Luft und wird schließlich weggejagt. Dazu rufen sie: "Free Trade No. Food Sovereignty Yes." Die Fernsehteams aus dem Ausland freuen sich über die bunten Bilder. Dann rollt noch ein Bus aus Georgsmarienhütte vorbei. Es sind Touristen auf dem Weg zum Cecilienhof: Verhandlungstisch gucken.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.