Integration: Breakdance für alle

Der Deutsche Olympische Sportbund will muslimischen Frauen den Zugang zum Sport erleichtern. Leicht gesagt - tradierte Rollenbilder erschweren das Integrationsprojekt.

Fußball mit Kopftuch: Spielerinnen von Al-Dersimspor aus Berlin Bild: ap

Jeden Donnerstagnachmittag wird im Jugendzentrum im hessischen Rüsselsheim getanzt. "Clip-Dance" heißt der Workshop, an dem zehn Mädchen im Alter von 13 bis 14 Jahren teilnehmen. Clip-Dance ist ein amerikanischer Jugendtanz, eine Mischung aus HipHop, Street- und Breakdance. Die Schülerinnen studieren gerade einen Tanz für eine öffentliche Aufführung in der kommenden Woche ein. Sie bewegen sich synchron vor einem großen Spiegel. Die jungen Tänzerinnen kommen aus Migrantenfamilien, zwei der Mädchen tragen Kopftuch.

Geleitet wird der Workshop von Caroline Kühler. Sie ist Sportwissenschaftlerin und Mitarbeiterin des Landessportbundes Hessen. Dort wurde vor fünf Jahren ein Projekt zur Integration von Frauen und Mädchen aus Zuwandererfamilien ins Leben gerufen. Das Projekt heißt "Start - Sport überspringt kulturelle Hürden". An verschiedenen Standorten in Hessen werden Sportangebote gezielt für Migrantinnen gemacht. Vor allem Frauen mit muslimischem Glauben profitieren von diesem Programm, denn in der Regel ist es für sie schwierig, sich sportlich zu betätigen. "Es sind sowohl religiöse als auch kulturell-gesellschaftliche Ursachen, die dazu führen, dass Musliminnen nicht so frei Sport machen können wie deutsche Frauen", sagt Caroline Kühler.

Dabei spielt gerade in türkischen oder arabischen Familien Sport eine große Rolle - allerdings überwiegend für Männer. Väter gehen gern mit ihren Söhnen zum Fußball, Boxen oder Ringen; Mütter und Töchter haben es in der Regel schwerer. Gründe gibt es genug: Die Frauen kümmern sich ausschließlich um Haushalt und Familie und haben gar keine Zeit zum Joggen oder Schwimmen. Den Mädchen fehlt das Vorbild der sporttreibenden Mutter, den Familien häufig das Geld, um Beiträge für ein Fitnessstudio oder einen Sportverein zahlen zu können. Und: Viele Väter und Ehemänner sehen es häufig nicht gerne, wenn ihre Töchter und Frauen in knapper Sportbekleidung herumturnen.

Sport - der ja oft für seinen integrativen Charakter gelobt wird - kann ausgrenzen. Zum Beispiel im Schulsport. Immer noch werden Mädchen muslimischen Glaubens vom Schulsport - besonders vom Schwimmunterricht - befreit. Auf der Internetseite muslimmarkt.de, einer Plattform für deutsche Muslime, kann man sogar eine Musterentschuldigung herunterladen.

Natürlich muss es in islamischen Einwandererfamilien nicht unweigerlich zu Schwierigkeiten kommen, wenn Töchter und Frauen Sport treiben. Vor allem liberale und gut integrierte ausländische Familien haben häufig nichts gegen Sport einzuwenden. Es gibt hierzulande sogar Leistungssportlerinnen mit Migrationshintergrund, etwa die türkischstämmige Boxerin Julia Sahin. Sie ist amtierende deutsche Profi-Meisterin im Fliegengewicht. Für sie ist der Sport ein Mittel zur Selbstverwirklichung. Und wie Integration im Kleinen funktioniert, kann man beim Projekt "Start" schon lange beobachten. "Sport ist ein Medium, das den Menschen direkt anspricht", sagt Gül Keskinler, die Initiatorin von "Start". "Wir wollen die Frauen als gleichberechtigte Partner in die Gesellschaft reinholen, ihnen nicht vorschreiben, wie man Sport macht. Wir lassen sie auch in ihrer alltäglichen Kleidung Sport machen, bis sie selber begreifen, dass sie leichte Kleidung tragen sollten."

In ihrem Büro im hessischen Landessportbund in Frankfurt erklärt die Projektmanagerin Keskinler, es gehe nicht nur darum, den Frauen Sport-, sondern auch Bildungsangebote zu machen. So gehören auch Deutschkurse mit zum Programm. 53 Frauen wurden bisher bei "Start" zur Übungsleiterin im Bereich Gesundheits- und Breitensport ausgebildet. Sie sollen noch mehr Mädchen und Frauen aus Zuwandererfamilien in den Sport und in die Vereine holen. Keskinler, die 1970 aus der Türkei nach Deutschland kam, ist seit Ende 2006 Integrationsbeauftragte des Deutschen Fußball-Bundes. Auch hier ist es die Aufgabe der 44-Jährigen, ausländische Mitbürger besser einzubinden: "Ich möchte institutionelle Veränderungen anstoßen, sodass wir im Sport mehr Menschen mit Migrationshintergrund haben", sagt sie.

Auch der Deutsche Olympische Sportbund hat im Jahr 2006 das Programm "Integration durch Sport" ins Leben gerufen. Mit mehrtägigen Aktivitäten und Großveranstaltungen ruft der Sportbund gemeinsam mit den Landessportbünden zu Toleranz und Akzeptanz gegenüber Zuwanderern auf. Vereine und Übungsleiter sollen bewusst zugehen auf die rund 7,5 Millionen ausländischen Mitbürger, die in Deutschland leben. Unterstützt wird das Anliegen von drei Integrationsbotschafterinnen - drei Leistungssportlerinnen: der Karatekämpferin Ebru Shikh Ahmad, der Trampolin-Turnerin Anna Dogonadze und der Volleyballerin Atika Bouaga. Das Ziel des Programms ist es, die Eingliederung der Zuwanderer in die Gesellschaft und in den organisierten Sport zu erleichtern.

Wie das funktionieren kann, sieht man beim Mutter-Kind-Turnen, das in einer Turnhalle im Frankfurter Gallusviertel angeboten wird. Wiederum im Rahmen des Projektes "Start". Eigentlich leitet Caroline Kühler den Kurs, doch heute hat die 21-jährige Hanan das Sagen. Sie kommt aus Marokko und muss sich auf ihre Prüfung zur Übungsleiterin vorbereiten. Sieben Mütter sind heute mit ihren Kindern gekommen, zwei tragen beim Fangenspielen und bei der Gymnastik Kopftuch. Auch Hanan bindet sich nach der Stunde ein weißes Tuch um den Kopf. "Ich habe als Helferin angefangen, dann hat man mir angeboten, dass ich die Ausbildung mache", sagt sie. Es mache ihr riesigen Spaß. Auch die 38-jährige Gülseren, die gemeinsam mit ihrem kleinen Sohn mitgeturnt hat, schwärmt: "Es ist toll. Ich habe nicht lange überlegt und habe auch meine Freundinnen mit hierher genommen."

Doch Normalität ist offensichtlich erst dann erreicht, wenn ausländische Mädchen und Frauen in Deutschland kein spezielles Projekt zum Sporttreiben mehr benötigen. Wenn sie problemlos im Sportverein oder im Fitnessstudio Angebote finden können, die ihren Bedürfnissen entsprechen. Erst dann wird Sport für hier lebende Musliminnen zur Selbstverständlichkeit.

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