Interview: "George Bush will es nicht begreifen"

Die Kämpfe im Irak werden brutaler, weil die US-Soldaten unvorbereitet in einen Guerillakrieg geschickt wurden. Den können sie und ihr Präsident nur verlieren, sagt der Historiker Bernd Greiner

"George Bush will es nicht begreifen"
Die Kämpfe im Irak werden brutaler, weil die US-Soldaten in einen Krieg geschickt wurden, auf den sie niemand vorbereitet hat: Guerillakrieg. Den können sie und ihr Präsident nur verlieren, sagt der Historiker Bernd Greiner

taz: In der irakischen Stadt Haditha haben US-Soldaten 24 unbewaffnete Zivilisten niedergemetzelt, nachdem ein Amerikaner von einer Autobombe getötet wurde. War das nur die Tat von ein paar Soldaten, die durchgedreht sind?

Bernd Greiner: Es ist ein Fehler im System, weil Verteidigungsminister Rumsfeld aus ideologischen Gründen, teils schon vor dem Krieg, einige falsche Entscheidungen getroffen hat. Verblendet, wie er war, glaubte er, man könne alles mit neuen Technologien lösen. Also hat er nur 165.000 nach Irak geschickt, die mit ihren Aufgaben dort total überfordert sind. Sie können noch nicht mal die Sicherheit von bestimmten Städten, Dörfern oder Regionen garantieren, also ihre grundsätzliche Aufgabe erfüllen. Dementsprechend sind die dort stationierten Soldaten überfordert, frustriert und wütend. Das soll nicht entschuldigen, was passiert ist, erklärt aber zum Teil das Geschehene.

Rumsfeld müsste also mehr Soldaten in den Irak schicken, um die Lage und seine Soldaten wieder unter Kontrolle zu bekommen?

Dieser Krieg war von Anfang an verfehlt. Selbst wenn man mehr Truppen schicken würde, könnte man zwar die Lage besser kontrollieren, aber man wäre ebenso wie heute mit dem Problem konfrontiert, dass die Iraker mehrheitlich die Besatzung ablehnen. Auf dieser Ebene kann man das schwer diskutieren.

Viele Kritiker des Krieges sehen deutliche Parallelen zwischen dem Vietnam- und dem Irakkrieg.

Die Überschrift in der taz heute, "Ein Massaker wie das in My Lai", halte ich publizistisch und politisch für verheerend. Man muss doch nicht immer gleich das Extrem bemühen, um bestimmte Ereignisse zu erklären. Diese Vereinfachung der politischen Diskussion hat während des Jugoslawienkrieges angefangen, als permanent der Vergleich mit Auschwitz bemüht wurde, um ihn zu begründen. Und genau das setzt sich jetzt fort. Doch: Nicht jeder Mord ist ein Massenmord, nicht jeder Massenmord ein Massaker, nicht jedes Massaker ein Genozid. Zu sagen: "Das ist so schlimm wie My Lai", verstellt den Blick auf das Konkrete des vorliegenden Falles, emotionalisiert die Debatte und ist sachlich Unfug. In Haditha haben ein paar Marines 24 Menschen getötet, in My Lai eine ganze Kompanie in vier Stunden 500 Menschen massakriert.

Natürlich ist die Überschrift zugespitzt, aber den Vergleich hat nicht die taz erfunden. Sowohl Abgeordnete des US-Kongresses als auch die New York Times haben ihn gezogen. Immerhin soll sich das Massaker in Haditha auch über Stunden hingezogen haben. Außerdem: Es geht doch nicht um eine Gleichsetzung. My Lai steht als Chiffre für eine Eskalation.

Ein Massaker wie in My Lai ist keine Chiffre, es ist eine Aussage. Ihre Überschrift ist nur plakativ und erklärt nichts. Zudem schwingt da eine historisch falsche Annahme mit: Diese Exzesse schadeten heute Bush so, wie My Lai einst Nixon geschadet habe. Aber damals war das Gegenteil der Fall: Die schweigende Mehrheit hat sich letztlich hinter Nixon gestellt, weil er Leutnant Kelly, den Schlächter von My Lai, begnadigt hat.

Kommen wir noch einmal auf die Täter zurück. Es sieht so aus, als ob US-Soldaten immer extremer agieren, je länger der Krieg dauert. Das zumindest kennt man auch aus Vietnam. Gibt es eine unvermeidliche Verrohung?

Strukturell gibt es in der Tat einige Gemeinsamkeiten. Auch nach Vietnam hat man eine Armee geschickt, die keine Ahnung davon hatte, was für ein Krieg auf sie zukam. Weder die Wehrpflichtigen damals noch die Freiwilligen im Irak heute sind im Mindesten vorbereitet gewesen auf einen Guerillakrieg. Und genau das spielt sich dort ab. Der vermeintlich Schwache setzt Sprengfallen ein und legt Hinterhalte. Der schnell erwartete Erfolg stellt sich für den Starken nicht ein. Es ist offenbar so, dass bei dieser Art von Kriegsführung - und hier ist der Vergleich mit Vietnam angemessen - die Ohnmacht bei den vermeintlich überlegenen Soldaten, ihr Unverständnis gegenüber der Situation in ein kaum mehr zu zügelndes Rachebedürfnis umschlagt.

Ein Kolumnist der New York Times schrieb schon im August 2005, dass Bush der Einzige sei, der noch nicht begriffen habe, dass der Krieg im Irak verloren sei. Hat er Recht?

Eines darf man bei Bush nicht unterschätzen: Er ist davon überzeugt, eine religiöse Mission zu haben. Alles, was auf dem Weg zu deren Erfüllung schief geht, wertet er als Kollateralschaden. Da er im Auftrag einer höheren Instanz handelt, glaubt er daran, sich am Ende durchzusetzen. So gesehen stimmt es, dass er in der Tat der Einzige ist, der es noch nicht begriffen hat. Man sollte ergänzen: Er ist der Einzige, der es nicht begreifen will und nicht begreifen kann. Und andere um ihn herum pflegen die gleiche Weltanschauung. Diese kleine Gruppe hat den Machtapparat auf Zeit gehijackt - und in ihrer Verbohrtheit wird sie den Krieg bis zum bitteren Ende fortsetzen.

Es gibt also nur eine Exitus- und keine Exit-Strategie?

Genau. INTERVIEW: D. HAUFLER

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