Das journalistische Dilemma

Der Fall Floyd Landis und die fehlen Folgen wirft Fragen auf. Ignorieren oder berichten? Und wenn:über was?

Im Grunde war die Art und Weise, wie die vergangene Tour de France begann, eine riesige Chance. Der Rauswurf der Favoriten am Vortag des Prologs verdrängte das so genannte Sportliche. Die Favoritendiskussionen, Porträts der voraussichtlichen Stars, Vorschauen auf zu erwartende Heldenschlachten waren am ersten Wochenende der Tour hinfällig. Es gab nur ein Thema: dass der Radsport offenkundig grundsätzlich von Doping verseucht ist. Die in Frankreich versammelte Radsportwelt, von Fachjournalisten bis zu Managern und Sponsoren, war zu einer gründlichen Selbsthinterfragung gezwungen.

Die fand auch statt, zumindest in Ansätzen und zumindest in den ersten Tagen. Und dennoch durchlaufen der Sport und alle, die damit zu tun haben, gerade einmal dreieinhalb Wochen später wieder exakt dasselbe wie zu Beginn der Tour. Man hat einen neuen Helden geschaffen und gefeiert, so wie vor ihm die alten Helden Basso und Ullrich und viele vor ihnen. Und man ist erneut enttäuscht, dass auch er sich als mutmaßlicher Betrüger entpuppt, deprimiert, dass es anscheinend keine sauberen Helden in diesem Sport geben kann.

Die initiale Selbstreflexion des Geschäfts zu Beginn der Tour hatte also offenkundig zu kurz gegriffen. Musste ja auch, denn da war ja das Rennen, das am nächsten Tag losging. So wie die Fahrer die Dopinggeschichten verdrängen und sich darauf konzentrieren mussten, in die Pedale zu treten, mussten dies auch die anderen Beteiligten. Die Journalisten etwa.

Die große Frage im Pressetross in der ersten Woche war, wie lange man denn die Dopinggeschichten noch "weiterdrehen" solle und wann man denn wieder mit der Sportberichterstattung anfangen soll. Die französischen Medien waren da recht eindeutig. Für LEquipe, die halboffizielle Tour-Zeitung, war das Thema nach dem ersten Wochenende erledigt. Die Tour-Direktoren beglückwünschten sich selbst in Editorials, wie gut man die Situation gehandhabt habe und dass man sich nun auf eine saubere, spannende Tour freuen dürfe.

Ein belgischer Kollege erzählte, dass sich die Öffentlichkeit in Belgien überhaupt nicht für das Dopingthema interessiere. Viel wichtiger war, warum es Weltmeister Tom Boonen nicht gelang, den Australier Robbie McEwen zu überspurten. In den USA schien das Wichtigste am Ausschluss der vermeintlichen Favoriten zu sein, dass er den amerikanischen Fahrern bessere Chancen bescherte. Allein in den deutschen Medien schien es, als überschattete Doping den Sport bis beinahe zum Ende der Tour.

Dennoch drängte sich neben den immer neuen Enthüllungen und Dokumentationen über Bösewichte und Finsterlinge zunehmend wieder die vermeintliche Berichterstatterpflicht in den Alltag. Als die Tour in den Alpen in ihre entscheidende Phase ging, wurde wieder großflächig über Taktik und Siege, bittere Niederlagen und heroisch überwundene Tiefpunkte geredet.

Das alles ist freilich im Lichte des Verdachts gegen den Tour-Sieger rückblickend peinlich. Nach dem Dopingfall Landis ist klar - es gibt keinen sauberen Radsport, über den es zu berichten gilt, nachdem man die Bösewichter geoutet und sich über deren Verwerflichkeit ausgelassen hat. Radsport, das ist Doping, die beiden sind unentwirrbar. Das vermeintlich moralisch Wertvolle am Radsport vom niederträchtigen Betrug absondern zu wollen ist unsinnig geworden. Welche Konsequenz man daraus zieht, ist Geschmackssache. Wer zur Bewunderung einer Leistung nicht das Wissen braucht, dass diese mit einem Organismus erbracht wurde, der in etwa dem eigenen ähnelt, kann das Thema einfach ignorieren und weiterjubeln. Alle anderen sollten sich wohl lieber anderen Dingen zuwenden.

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