„Die EU braucht afrikanische Arbeiter auf Zeit“

Europa schottet sich gegen den globalen Zuwanderungsdruck ab. Aber das ist keine Lösung. Besser wäre es, Migranten aus Afrika befristete Aufenthaltsmöglichkeiten zu gewähren. Auch wenn die Rückehr schwierig wird

taz: Herr Angenendt, was wird aus dem Thema Migration in einer großen Koalition werden?

Steffen Angenendt: Es wird keine Änderungen in den nächsten eineinhalb Jahren geben. Wir sind in der Phase der Evaluierung des Zuwanderergesetzes und der Integrationspolitik.

Hat der Zuwanderungsdruck auf Europa zugenommen?

Nicht dramatisch. Bei der illegalen Zuwanderung aus Afrika gibt es aber offensichtlich eine Verschiebung: Statt über das Meer zu kommen, versuchen nun viele, den Landweg nach Ceuta und Melilla zu nehmen. Der Seeweg ist schwieriger geworden, weil die Spanier die elektronische Grenzüberwachung ausgebaut haben und enger mit den Behörden in Marokko zusammenarbeiten. Es sind vor allem die schlimmen Bilder aus Ceuta und Melilla, die bei uns den Eindruck entstehen lassen, als gäbe es einen neuen Massenansturm.

Warum versuchen immer noch so viele Leute nach Spanien einzuwandern?

Weil sie berechtigt hoffen – denn die Nachfrage nach billigen Arbeitskräften in Spanien ist groß. Es gibt hohen Bedarf in der Frühgemüse-Industrie, im Bauwesen, im Dienstleistungsbereich und in privaten Haushalten.

Der spanische Arbeitsmarkt ist also aufnahmefähig?

Ja, Spanien hatte in den letzten Jahren regelmäßig ein Wirtschaftswachstum von über 3 Prozent. Der spanische Wirtschaftsminister schätzt, das etwa 80 Prozent dieses Wachstums auf die preiswerten ausländischen Arbeitskräfte zurückzuführen sind und nur ein Fünftel auf Produktivitätszuwächse. Diese Arbeitskräfte werden nicht wie bei uns über legale Anwerbeprogramme geholt, sondern stammen überwiegend aus dem Heer der Illegalen.

Geht Spanien anders mit illegalen Zuwanderern um?

Wesentlich. Auch in Deutschland gibt es einen großen Bedarf an Unqualifizierten, in der Landwirtschaft, zur Weinlese, zum Spargelstechen. Ohne billige ausländische Arbeitskräfte gäbe es diese Wirtschaftssektoren bei uns nicht mehr. Das deutsche Modell lautet: Wir legen spezielle Programme für Saisonarbeiter auf, die sehr streng geregelt sind. Die Menschen können einige Monate hier arbeiten und kehren dann zurück.

Ist das bürokratisch nicht sehr aufwändig?

Ja, aber es ist ein sehr effizientes System. Spanien ist das Gegenmodell: Solche Programme gibt es dort kaum. Stattdessen gehen die Behörden relativ großzügig mit illegalem Aufenthalt um.

Sie können bleiben und werden zum Teil legalisiert?

Ja. In den letzten 15 Jahren wurden etwa 1,2 Millionen Migranten nachträglich legalisiert. Hier stehen sich zwei Modelle gegenüber: das strikt regulierte deutsche Modell und das Laisser-faire-Modell Spaniens. Auch Frankreich und Italien haben immer wieder legalisiert.

Ökonomisch gesehen zielen beide Modelle auf die Versorgung des Arbeitsmarktes mit billigen Arbeitskräften …

Ja, und die deutsche und die spanische Regierung sind mit ihren Modellen sehr gut gefahren …

Wie könnte eine gemeinsame europäische Migrationspolitik aussehen?

Mein wichtigster Punkt ist: Spanien und die anderen EU- Staaten müssen temporäre Zuwanderungsprogramme für afrikanische Arbeitskräfte auflegen. Ich bin sicher, dass eine Aussicht auf eine legale Einreise und Arbeitsmöglichkeit, auch wenn sie befristet ist, die Menschen von dem lebensgefährlichen Weg durch die Sahara oder über das Meer abhalten kann. Für eine solche Politik könnte eine Modifikation der deutschen Anwerbepolitik geeignet sein.

Nach Meinung der Migrationsforscher gibt es nichts Bleibenderes als einen temporären Zuwanderer …

Natürlich muss es dafür klare Regeln geben. Das geht nur mit einem starken Staat, der die Arbeitsmigration nicht den Marktkräften überlässt. Es muss klare arbeitsrechtliche Regeln geben, und es muss gegen illegale Beschäftigung vorgegangen werden. Es muss eine Prüfung geben, ob ein Einheimischer oder ein EU-Bürger für den Job zur Verfügung stehen. Der Zuwanderer kann nur kommen, wenn das nicht der Fall ist. Das wird in Deutschland schon so gemacht. Außerdem müssen die Rechte der Migranten gesichert werden. Und es muss eine Mischung von Anreizen und Druck zur Rückkehr geben. Nur dann sind befristete Programme zur Arbeitsmigration sinnvoll.

Ist legale, befristete Zuwanderung nicht naiv angesichts des Drucks von außen?

Nicht, wenn man sich die Zahlen anschaut. 2004 wurden 7.000 Menschen aufgegriffen, die über See nach Spanien kamen. Die Zahl jener, die es geschafft haben, ist sicherlich größer. Wenn man sich aber klar macht, dass allein die spanische Wirtschaft jährlich hunderttausende illegale Zuwanderer beschäftigt, ist der Vorschlag sehr realistisch.

INTERVIEW: EDITH KRESTA