Streitkultur im Wandel

ANWALTSTAG Juristen streiten über Schiedsgerichte, Vorratsdatenspeicherung und Whistleblower

Unter dem Motto „Streitkultur im Wandel – weniger Recht?“ ging es auf dem Deutschen Anwaltstag Mitte Juni in Hamburg vorrangig um die Frage, wie die Tendenz zu Schiedsgerichten zu bewerten sei. Im Mittelpunkt standen dabei Schlichtungen von kleinen Dimension, wie etwa bei der durch EU-Recht forcierte vorgerichtliche Schlichtung in Verbraucherrechtsfragen, in denen der Streitwert meist unter 2.000 Euro liegt. Während Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz Mediationsverfahren als „Demokratisierung der Streitkultur“ empfahl, bemängelte der scheidende Präsident des Deutschen Anwaltvereins (DAV), Wolfgang Ewer, dass solche Schlichtungen in der Regel nicht öffentlich seien.

Als politisch brisanter wurden Schiedsgerichte bewertet, wie sie das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA vorsieht. Der Tagungsort Hamburg hat mit dem internationalen Schiedsverfahren ISDS bereits schlechte Erfahrungen gemacht. So zwang Vattenfall die Hansestadt über dieses Ins­tru­ment zur Aufweichung der Wasserschutzrichtlinien bei einem Kraftwerksbetrieb.

Dass sich die ISDS-Regelungen nahezu jeglicher politischer Kontrolle entziehen, kritisierte auch DAV-Präsident Ewer. Er forderte darum die Einsetzung eines internationalen Gerichtshofs und klare Regelungen bei Konflikten zwischen Staaten und Investoren. Ganz deutlich hat sich der Anwaltstag auch gegen den Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen. „Nur nicht erhobene Daten sind sichere Daten“, erklärte Ewers bereits zum Auftakt der zweitägigen Jahrestagung der Anwaltschaft, zu der rund 1.800 Juristen gekommen waren.

Bei einem weiteren brisanten Thema war es ein Nichtjurist, der entscheidende Argumente lieferte: der Internetaktivist Daniel Domscheit-Berg, Mitbegründer der Plattform Wikileaks. Er forderte ein Informantenschutzgesetz, um Whistleblowern rechtlichen Schutz zu gewähren. Ihre Enthüllungen in einer komplex gewordenen Welt dienten der permanenten Korrektur von Mängeln und Fehlern, die sonst unentdeckt blieben. Doch noch sieht die Rea­li­tät anders aus: Arbeitnehmer, die Missstände in ihrem Betrieb öffentlich machen, können einfach vor die Tür gesetzt werden. Wolfgang Kaleck, der deutsche Anwalt Edward Snowdens, machte die Schieflage am Beispiel seines prominenten Klienten deutlich: Ihm drohen nach US-Recht mehrere tausend Jahre Strafe – ob seine Enthüllungen von öffentlichen Interesse waren, spielt dabei keinerlei Rolle. OS