Telefonseelsorge statt Therapie

BERATUNG In der Landwirtschaft sind Leben und Arbeit so eng verwoben, dass Probleme schnell existenziell werden. Oft kracht es zwischen den Generationen. Aber es gibt Hilfe

VON ALICE WINKLER

Seit Anfang der 90er-Jahre gibt es in Niedersachsen drei Sorgentelefone für landwirtschaftliche Familien. Etwa 4.000 Landwirte haben seitdem bei der Telefonseelsorge in Barendorf, Oesede und Rastede angerufen. Und wegen der hohen Nachfrage wurde das Angebot jetzt ausgedehnt – die Telefonseelsorger sind nun an jedem Werktag und nicht mehr nur montags erreichbar. „Wenn die Menschen etwas auf dem Herzen haben, dann wollen sie es gleich loswerden und nicht erst eine Woche warten“, sagt Henning Hölscher, Mitinitiator und Geschäftsführer des Sorgentelefons in Rastede.

“Die Probleme sind vielseitig“, sagt Ludger Rolfes, Geschäftsführer der ländlichen Familienberatung in Wallenhorst, die eng mit den Sorgentelefonen zusammenarbeitet. Der 54-Jährige ist als ältester Sohn auf einem Hof aufgewachsen, den er aus gesundheitlichen Gründen nicht übernehmen konnte. Die Anrufer meldeten sich mit Nachbarschaftsstreitigkeiten, Generationen- und Familienkonflikten oder Streit über die Hofübergabe. Oft mangele es an der Kommunikation. „Um unangenehmen Gesprächen zu entgehen, kann man immer in die Arbeit fliehen“, sagt Rolfes. Das sei vor allem bei jungen Landwirten zu beobachten.

„Machtkämpfe und Misstrauen spielen eine große Rolle“, sagt Rolfes. Konflikte zwischen Vätern und Söhnen zählen zu den Hauptsorgen, mit denen sich die Anrufer melden. Übernehmen die Kinder den Hof, wollen sie oft Althergebrachtes umwerfen, die Alten aber wollen weiter mitbestimmen. Dazu kommen psychische Probleme, die enorme Arbeitsbelastung und die ungewisse Zukunft. Der Milchpreis wird immer niedriger, Anschaffungen wie Traktoren werden immer teurer und viele Landwirte mussten schon aufgeben. Gab es vor zehn Jahren in Niedersachsen noch rund 56.000 landwirtschaftliche Betriebe, sind es heute nur noch 40.000.

Bei der ländlichen Familienberatung bleibt es im Gegensatz zur Telefonseelsorge nicht nur beim Telefonieren. Auf Wunsch der Anrufer findet an durchschnittlich sechs Terminen eine persönliche Beratung auf dem Hof statt – mit der ganzen Familie. 42 Familien wurden im vergangenen Jahr beraten. „Wenn man bedenkt, dass die sich da in ihre intimsten Karten gucken lassen, dann ist das schon etwas Besonderes, daran teilzuhaben“, sagt Rolfes.

„Psychologen machen uns da keine Konkurrenz“, sagt Hölscher. Denn Landwirte seien nur bereit sich zu öffnen, wenn sie das Gefühl haben, tatsächlich verstanden zu werden. Dazu müsse man schon ein bisschen „Stallgeruch“ mitbringen, das sei eine Voraussetzung für die Arbeit als Telefonseelsorger.

Rund 40 Berater sind derzeit ehrenamtlich bei den landwirtschaftlichen Sorgentelefonen in Niedersachsen beschäftigt. Die Hälfte von ihnen bewirtschaftet einen Hof. „Daraus ergibt sich ein Vertrauensvorschuss“, sagt Rolfes. Beim Erarbeiten von Lösungen, gemeinsam mit den Anrufern, lassen sie die eigenen Erlebnisse und Erfahrungen mit einfließen. Die Beratung erfolgt stets anonym.

Sorgentelefon für landwirtschaftliche Familien: Mo, Mi und Fr 8.30–12 Uhr, Di und Do 19.30–22 Uhr, ☎ 04137-81 25 40

Auch das Netzwerk Konfliktmanagement Nord bietet kostenlose Beratung bei Konflikten in der Landwirtschaft: 20. 2., 10–19 Uhr, ☎ 040-72 69 39 32