„Lernen mit Sinn“

PRIVATSCHULE Petra Lafferentz will eine Stadtteilschule namens Polytechnikum gründen. Die verbindet Ausbildung und Schule

Echte Skater-Anlage für echte Benutzung, gebaut von der Produktionsschule Steilshoop Foto: Alraune

Interview: Birk Grüling

taz: Warum wollen Sie eine neue Schule gründen?

Petra Lafferentz: Wir knüpfen dabei an unsere sehr positiven Erfahrungen an, die wir in unseren Produktionsschulen für schulmüde Jugendliche gewonnen haben. Dort geht Lernen und Arbeiten Hand in Hand. Wir haben festgestellt, dass die Verbindung von Schule und Betrieb spezifische Möglichkeiten eröffnet, die die „Buchschule“ so nicht bieten kann. Hier ist Lernen in Handlungszusammenhänge eingebunden, die Sinn stiften. Dieser pädagogische Leitgedanke ist nach unserer Überzeugung keineswegs auf das Übergangssystem Schule-Beruf begrenzt, sondern gilt für schulisches Lernen überhaupt.

Was ist ein Polytechnikum?

Eine Schule, auf der Schüler von der Klasse 5 an sowohl auf einen allgemeinbildenden Schulabschluss als auch auf einen beruflichen Abschluss vorbereitet werden. Allgemeines und berufliches Lernen werden hier systematisch miteinander verknüpft und befruchten sich wechselseitig, indem Theorie und Praxis in immer wieder neuen Zusammenhängen aufeinander bezogen werden.

Wie ist der aktuelle Stand?

Nach drei Jahren intensiver Planung haben wir unseren Gründungsantrag Anfang Dezember 2014 bei der Schulbehörde eingereicht. Seither sind wir im Gespräch und beantworten etliche Rückfragen zu unserem pädagogischen Konzept.

Was wollen Sie anders machen als die über 400 allgemeinbildenden Schulen in Hamburg?

Geplant ist eine Stadtteilschule von Klasse 5 bis zum Abitur, deren pädagogische Arbeit sich an den geltenden Bildungsplänen ausrichtet. Die Besonderheit liegt im pädagogischen Konzept, das konsequent auf das Lernen in sinnstiftenden Kontexten setzt. Die Schüler lernen nicht nur im Klassenzimmer, sondern auch in unseren Werkstätten und an außerschulischen Lernorten. Eine zentrale Rolle spielt dabei der individuelle Bildungsplan, der sich an den Lernausgangslagen und Lernfortschritten der Schülerinnen und Schüler richtet. Entsprechend hat jeder Schüler ein eigenes „Logbuch“ mit einem „Lernkompass“, in dem festgehalten wird, wo der einzelne Schüler in seinen Lernprozessen steht und welche Lernschritte folgen.

Besteht nicht die Gefahr der Überfrachtung?

Petra Lafferentz

Foto: Privat

57, ist Diplompädagogin und Geschäftsführerin des gemeinnützigen Bildungsträgers Alraune, der in Hamburg seit 2009 eine Produktionsschule in Hamburg Steilshoop und seit 2011 eine weitere in Hamburg Eimsbüttel betreibt.

Die Erfahrungen unserer Produktionsschulen, aber auch Erfahrungen etwa der Hiberniaschule in Herne, die bereits seit Jahrzehnten nach ähnlichen pädagogischen Prinzipien arbeitet, zeigen, dass das geht. Sowohl Leistungsstarke als auch Schüler mit Lernbeeinträchtigungen können von der Verknüpfung theoretischen und praktischen Lernens profitieren.

Welche Berufe sollen denn angeboten werden?

Geplant ist eine Mischung aus schulischen Ausbildungsberufen wie Sozialpädagogische Assistenz, Umweltschutztechnische Assistenz oder Modedesign mit "dualen“ Berufen im Handwerk und der Gastronomie, entweder in Kooperation mit Hamburger Unternehmen oder in den trägereigenen Betrieben.

Welche Rolle spielen die eigenen Betriebe der Schule?

Es sind Betriebe, die ihre Produkte beziehungsweise Dienstleistungen auf den Markt bringen. Es handelt sich also nicht um virtuelle Abläufe, sondern reale Arbeitsabläufe in Echtzeit. Unsere Produktionsküchen beispielsweise versorgen nicht nur die eigene Schule, sondern auch Kindergärten oder Schulen in der Umgebung. In unserer Fahrradwerkstatt reparieren wir Fahrräder für die Menschen im Stadtteil. Entsprechend hoch sind die Qualitätsansprüche. Schon die Fünftklässler erhalten erste Einblicke in Produktionsabläufe und lernen mit Erkundungsaufträgen betriebliche Wirklichkeit kennen. Ab Klasse 10 haben sie dann die Möglichkeit, neben der Vorbereitung auf einen allgemeinbildenden Abschluss sich in unseren Betriebsstätten auf einen beruflichen Abschluss vorzubereiten.

Welches Feedback bekommen Sie von Eltern?

Es haben sich in den zurückliegenden Monaten viele Eltern nach unserem Konzept erkundigt und großes Interesse gezeigt. Besonderer Wert wird von ihnen auf das Lernen mit allen Sinnen gelegt, auf das Lernen in Zusammenhängen und auf die konsequente Ausrichtung der pädagogischen Arbeit auf die individuelle Lernentwicklung in den verschiedenen Kompetenzbereichen

Die Gründungsauflagen für Privatschulen sind hoch. Gründer müssen qualifizierte Lehrer und ein gesichertes Budget nachweisen, Bildungsziele passend zum staatlichen Lehrplan formulieren und ein Schulgebäude finden.

In den ersten drei Jahren müssen neue Schulträger finanziell in Vorleistung treten. Nur Nordrhein-Westfalen unterstützt Privatschulen von Anfang. In allen anderen Bundesländern setzt die Unterstützung erst nach der Bewährungsphase ein.

Zwischen 60 und 90 Prozent der Schulkosten übernimmt dann das Land.

Wären Sie denn startklar?

Im Prinzip schon. Wir haben ein ehemaliges Schulgelände in der Walddörferstraße gefunden, das zurzeit nicht genutzt wird. Dort können wir die unterschiedlichen Lernorte, die unser Konzept vorsieht, kurzfristig einrichten. Wir haben qualifizierte Lehrkräfte gewinnen können, die das Konzept mit großem Engagement umsetzen wollen. Und wir wissen von etlichen Eltern, dass sie ihr Kind sofort anmelden würden, sobald wir starten können.

Tatsächlich ist die Zeit für die Schulanmeldungen eigentlich schon fast vorbei. Welche Konsequenzen hat das für die Gründung?

Wir sind geduldig. Wir können jederzeit starten, und sei es mit einer Vorlaufgruppe. Dass bei einem derart neuartigen Konzept viel Fragen zu klären sind, verstehen wir natürlich. Entscheidend ist, sich auf das Neue einzulassen und Schule weiterzuentwickeln.