Das Passspiel ohne Spielerpässe

Fußball Ohne Schwalben, ohne Diskussionen: Bei der alternativen europäischen Meisterschaft im Sportforum geht’s um Fairplay

Alternativ spielen heißt fair spielen Foto: Sebastian Wells

Anpfiff. Kurz jongliert der Spieler mit dem Ball und schlägt ihn dann im hohen Bogen zur gegnerischen Mannschaft. „Fairplay“, kommentiert Sonja Brake. Sie ist die Zweite Vorsitzende der Bunten Liga Berlin. Der Verein organisiert drei Spielklassen für Fußballer, die fernab von durchorganisierten Vereinsstrukturen kicken möchten. Am Wochenende haben die Berliner die zehnte alternative europäische Meisterschaft (AEM) ausgerichtet. 16 Teams aus ganz Deutschland, Irland, Russland und der Schweiz trafen sich vom Freitag bis Sonntag im Sportforum Berlin in Lichtenberg.

„Wir wollen eine Alternative zum regelmäßigen Vereinsfußball sein“, erklärt Volkmar Lucius, Erster Vorsitzender der Bunten Liga Berlin. Die alternativen Ligen sind nicht in den Fußballverbänden organisiert. Sie erhalten deshalb keine Zuschüsse und müssen sich rein ehrenamtlich organisieren. Dafür benötigen die Spieler, wie sonst üblich, keine Pässe. „Wir sind ja keine Kontrolletis. Es geht darum, die Spieler aufzunehmen, ohne zuerst zu fragen: Wer bist du? Was kannst du“, sagt der pensionierte Sportlehrer.

Auch bei der AEM spielt man elf gegen elf, es gibt einen Schiedsrichter. Ansonsten sind wenig Parallelen mit dem sonstigen Vereinsfußball erkennbar. Alle spielen hier für die Fairness. Roman Rutz kennt die Unterschiede. Er hat früher in einem Verein gespielt. Jetzt spielt er in der alternativen Liga in St. Gallen. „Die Heimmannschaft stellt hier Bier und Würste für alle Spieler – das ist schon ein krasser Gegensatz zum Umgang im Vereinsfußball“, sagt Rutz. Für ihn ist die Möglichkeit, ohne Spielerpässe mit Freunden zusammenzuspielen, ein großer Vorteil des alternativen Fußballs, ebenso das harmonische Miteinander. „Konflikte gibt es eh immer, wenn Jungs einem Ball nachrennen. Aber ich finde es schön, wie die Spieler das untereinander regeln.“

Bei der AEM gibt es Schiedsrichter – Schwalben oder hitzige Diskussionen sieht man allerdings nicht. „In fünf Jahren gab es nur ein hektisches Viertelfinale, aber sonst habe ich noch nie ein unfaires Spiel erlebt“, sagt Michael Brummund. Der 28-Jährige spielt selbst in der Bunten Liga, pfeift aber auch Spiele bei Freizeitturnieren. „Die Teams kommunizieren viel untereinander. Wenn sie mit einer Schiri-Entscheidung nicht zufrieden sind, spielen sie den Ball auch mal selbst zurück.“

Es gibt für jedes Team beim Turnier einen Pokal, von einem Unternehmen gestellt. Bei manchen Mannschaften sind Sponsoren nicht gerne gesehen. Doch Volkmar Lucius von der Bunten Liga sieht das ganz pragmatisch im Sinne der Spieler: „Die Spieler stecken ihr Geld in die Reisen und Unterkünfte, um zu den alternativen europäischen Meisterschaften zu kommen.“ Deshalb versuche er über Unterstützer den Spielern kostenloses Essen oder den Wegfall der Startgebühr zu ermöglichen.

Auch ein Team mit Spielern aus einem Berliner Flüchtlingsheim ist bei der AEM dabei. „Manchmal haben sie keine Schienbeinschoner, mal keine Töppen – unwichtig. Die sollen herkommen und Fußball spielen“, sagt Lucius, die nötigen Sachen werden dann schon besorgt.

Im Sportforum trotzen die 16 Teams der Hitze am Wochenende. Lucius hat für die Spieler auf der Tribüne eine Aufmunterung parat: „Die gute Nachricht: In Galway hat es gerade 18 Grad!“ In der irischen Stadt soll die AEM kommendes Jahr stattfinden. Lucius ist weiter am organisieren. „Es muss Verrückte geben, die das initiieren.“ Ein europaweiter Verein, der die AEM koordinieren sollte, scheiterte aufgrund logistischer Probleme. „Da haben wir das als Berliner in die Hand genommen die letzten Jahre.“

Deswegen werden Lucius und sein Organisationsteam von den Spielern in Sprechchören gefeiert. Sie wissen, bei wem sie sich für den Aufwand zu bedanken haben. Lucius ruft den Schweizern zu: „Wenn ihr die AEM 2017 ausrichten wollt, könnt ihr das!“ „Machen wir“, antworten die Spieler aus St. Gallen und skandieren: „Roman, Roman, Roman!“ Mit Roman Rutz scheint der nächste Engagierte gefunden, der eine alternative europäische Meisterschaft in die Hand nimmt. Sebastian Raviol