Vom Hungerland zur Großmacht

Äthiopien Manche setzen den Staat im Osten Afrikas an die Weltspitze der kommenden Jahre. Politische Kritik prallt ab

BERLIN taz | Barack Obama hielt seine Rede vor der Afrikanischen Union (AU) an deren Zentrale in Äthiopien, aber er ersparte seinen Gastgebern keine Kritik. Äthiopien, sagte der US-Präsident, „wird sein Potenzial nicht voll realisieren, wenn Journalisten eingeschränkt werden oder eine verantwortungsvolle Opposition nicht teilhaben kann. Mehr Arbeit muss getan werden, damit Äthiopien eine nachhaltige Demokratie wird.“

Damit bügelte Obama seinen Ausrutscher vom Montag aus, als er Äthiopiens Regierung als „demokratisch gewählt“ bezeichnet hatte, zum Entsetzen zahlreicher Menschenrechtsgruppen. Bei den Parlamentswahlen in diesem Jahr hatte Äthiopiens Regierungspartei EPRDF (Revolutionäre Demokratische Front des Äthiopischen Volkes) samt Satelliten alle 547 Sitze gewonnen.

Die EPRDF ergriff 1991 als Rebellenkoalition die Macht und stürzte den prosowjetischen Militärdiktator Mengistu. Tatkräftige US-Diplomatie beförderte damals den Machtwechsel. Aber die EPRDF bleibt im Selbstverständnis eine sozialistische Kaderpartei, die weder nach innen noch nach außen Demokratie pflegt.

Zugleich hat sich Äthiopien vom Hungerland zu einer regio­nalen Großmacht entwickelt. Milliardenschwere Großprojekte lassen eine moderne Infrastruktur für die knapp 100 Millionen Äthiopier entstehen, manche Wirtschaftsexperten setzen Äthiopien mit 9 bis 10 Prozent Wachstum jährlich an die Weltspitze der kommenden Jahre. Aber die strategischen Sektoren Bankenwesen und Telekommunikation bleiben in staatlichen Händen. Die moderne Mittelschicht der Hauptstadt findet nur schwer Anschluss an die Welt.

Die Kombination aus einer dynamischen Wirtschaft und einer absolut hermetischen Politik wird oft als äthiopische Kopie des „chinesischen Weges“ beschrieben – China gehört zu Äthiopiens wichtigsten Partnern und hat zum Beispiel das AU-Konferenzzentrum gebaut, wo Obama jetzt sprach, und auch den Flughafen von Addis Abeba. Die Spezialität beider Bauwerke ist, dass es schon nach wenigen Jahren hineinregnete. Äthiopien, das seinen Stolz auf eine mehrtausendjährige Geschichte als unabhängiger Staat gründet, hat schon immer gnadenlos die Schwächen fremder Vorbilder entlarvt.

Auch Obama dürfte dieses Schicksal blühen. Der US-Präsident sagte, Äthiopiens Regierungschef Desalegn Hailemariam habe seiner Kritik zugestimmt. Er hielt das für einen Erfolg. Auf Äthiopisch heißt es: Dann braucht man keine Opposition. Dominic Johnson